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Herr der Moore

Herr der Moore

Titel: Herr der Moore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kealan Patrick Burke
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möglich, dass er gar nicht kommt.«
    Donald näherte sich weiter, sodass sie seine Fahne roch und kurz glaubte, er wolle sie küssen. »Bete darum, dass er kommt.« Sein Blick streifte ihre Lippen und schürte die einstweilige Befürchtung noch einmal. Sie verzog das Gesicht, weil sie der durchdringende Alkoholgestank anwiderte. Dann begegneten sich ihre Blicke. »Falls nämlich nicht«, fuhr er fort und zeigte die Zähne, »wirst du losziehen und ihn zum Tanz schleifen müssen.« Seine Pupillen waren geweitet, das Weiß blutunterlaufen. Nun wusste sie, was ihm der Mann mit dem Kopfverband gegeben hatte: Schnaps.
    »Warum?«, fragte sie. »Was reizt dich so sehr an ihm? Hat er dir je etwas getan?«
    »Hat er dir je etwas getan?«, äffte Donald mit Fistelstimme nach. »Wer sagt denn, dass er etwas verbrochen haben muss? Ich bin es bloß leid, dass er mit Samthandschuhen angefasst wird, nur weil er blind ist, mehr nicht. Er stolpert durchs Dorf wie der versoffene Campbell und lässt sich trotzdem hofieren wie ein König. Stell dem kleinen Maulwurf ein Bein, und das halbe Dorf hängt sich mit Knüppeln an dein Revers. Pfeif drauf! Das wäre das eine … zweitens interessiert sich ein Bekannter von mir brennend für ihn, alles klar?«
    »Wer ist der Kerl?«, drängte sie und merkte gleich, dass sie Donald so aus der Reserve lockte. Er mochte die Beherrschung verlieren und ihr wehtun, aber diese Frage brannte ihr auf den Lippen. Sie hegte zunehmend den Verdacht, ihr Bruder sei trotz seiner Verstocktheit und der Gräuel, zu denen er manchmal neigte, nicht allein darauf aus, Neil etwas zuleide zu tun.
    »Geht dich rein gar nichts an«, schoss er zurück. »Nur ein …«
    Rotkäppchen schaute an ihm vorbei auf Tabitha. Sie war wie aus dem nichts im Raum aufgetaucht, weshalb Donald verstummte. »Hi, Tabitha.« Kate lächelte, als wüsste sie Bescheid.
    Da hatte er zu einer gemeinen Tirade anheben wollen, wurde aber unterbrochen und quasi auf seinen Rang verwiesen – ausgerechnet von einem Mädchen … Jetzt erst bemerkte er, wer sie war und vor allem, in wessen Arm sie sich eingehakt hatte.
    Neil war da.
    Tabitha wurde panisch, als sich die Lippen ihres Bruders zu einem breiten Grinsen spannten.

    ***

    Mrs. Fletcher hatte sich stets für fromm gehalten, obwohl ihr Glaube durch den Tod ihres Mannes und jüngsten Sohnes schwer erschüttert worden war. Sie hatte aufgehört, den Gottesdienst zu besuchen, der Religion jedoch nicht gänzlich abgeschworen. Dieser Abend nun lehrte sie wieder Ehrfurcht, denn was sie gerade erlebte, grenzte an ein Wunder. Nicht nur, dass ein sterbender Mann erwacht war; nein, er hatte gesprochen, auch wenn die Worte, die seinen blassen Lippen entronnen waren, nur Zeugnis über das Ausmaß seiner Agonie ablegten. Zuletzt hatte er einen Arm gehoben und gebeten, sie möge ihm helfen, sich aufrecht hinzusetzen, was alle eventuellen Bedenken zerstob, diese scheinbare Besserung sei bloß flüchtiger Natur und führe schlicht in die Irre, bevor es schlussendlich bergab mit ihm gehe. Sie war verblüfft. Zwar hätte sie es nie geäußert, doch eigentlich war sie davon ausgegangen, er lebe nicht mehr lange. Sein Aussehen sowie Doktor Campbells düstere Andeutungen hatten sie darauf vorbereitet, ihn bald betrauern und die Kinder trösten zu müssen.
    Nun aber …
    Nun konnte Mrs. Fletcher kaum erwarten, dass die beiden nach Hause zurückkamen und sahen, wie ihr Vater im Bett saß. Sie würden ihren Augen nicht trauen. Man durfte wieder hoffen und glauben, die Vorhänge des dunklen, staubigen Hauses seien aufgezogen worden. Der Arzt musste sie unbedingt aufsuchen, sobald er Zeit fand, und sei es nur zur Bestätigung, dass die jüngste Kritik an seiner Kompetenz nicht unbegründet gewesen war.
    »Mein Gott«, schnaufte sie, als sie die Kissen aufschüttelte und hinter ihren schmächtig gewordenen Herrn schob. Sie weinte unbeherrscht und jedes Mal aufs Neue, wenn sich der Mann aus eigenen Stücken zu einer Geste bewegte und damit Stärke bezeugte, die man ihm so lange abgesprochen hatte. Mochte er immer noch totenbleich und schwach sein, kehrte das Leben in seine Augen zurück. Die Wolken um ihn lösten sich auf, und dahinter zeigte sich sprichwörtlich blauer Himmel.
    Es war ein Wunder. Ein wahres Wunder und nur des Masters Bedürfnisse hielten die Tagelöhnerin davon ab, aus dem Haus ins Unwetter zu laufen, um die Kinder zu rufen und ihnen die frohe Kunde zu übermitteln, auf die sie seit Ewigkeiten warteten:

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