Herr der Moore
ermutigt, weil sie ihn mitnichten Liebe empfinden ließen, sondern Abscheu.
26
Ein orangerot flackerndes Rechteck schwebte durch die Finsternis. Zuerst hielt Grady es für eine Laterne, doch auf den zweiten angestrengten Blick durch den Regen richtete er sich auf und hielt Kate ungeduldig zum Absteigen an.
»Was ist das?«, fragte sie nicht wenig verärgert, obwohl sie seiner Bitte nachkam und er sie geradezu vom Pferd stieß.
»Ein Feuer«, antwortete er und saß ebenfalls ab, was ihm sichtlich schwerfiel. »In Callows abgebranntem Haus.«
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Er nickte zackig. »Ja, schon. Bis auf die alten Knochen.«
Sie schaute zu, wie er die Flanke des Rosses streichelte, seine Stiefel betrachtete und seine Lampe prüfte. Er widmete sich allem, nur nicht ihr, und schindete eindeutig Zeit.
»Was ist mit Ihnen?« Kate hob ihre Lampe, um ihn genauer anzusehen.
»Nichts.«
»Sie lügen.«
»Ich hätte Sie nicht mitnehmen dürfen.« Er klang gequält, und sein Gesichtsausdruck bestätigte dies, als er sich umdrehte.
»Ich wollte Sie begleiten.«
»Ich weiß, aber ich hätte Sie dennoch zu Hause lassen sollen.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ich bin sechzehn Jahre alt, Grady. Springen Sie nicht mehr andauernd mit mir um, als sei ich ein Kind.«
Er lächelte matt. »Nicht, dass ich es nicht wüsste, aber vielleicht hätte ich Ihnen alles erzählt, wenn mehr Zeit gewesen wäre, und dann hätten Sie es wohl freiwillig bleiben lassen, um Ihrem Vater beizustehen. Bloß …«
»Was?«
Wieder wich er ihrem Blick aus. »Bloß weiß ich nicht, ob Sie daheim wirklich sicher gewesen wären. Genau genommen glaube ich, je länger ich darüber nachdenke, dass niemand von uns den Morgen noch miterleben wird.«
Zorn und Furcht ließen Kate einen Satz nach vorn machen. Allein die erhobene Lampe passte noch zwischen ihre Köpfe. »Warum solche Gedanken?«, wollte sie wissen. Im Licht sahen ihre Augen noch größer aus.
»Weil sie berechtigt sind, ganz einfach. Ich weiß nicht, welcher Teufel mich geritten hat, als ich zustimmte, Sie mitzunehmen, doch hier stehen wir nun. Die arme Mrs. Fletcher ist allein bei Ihrem Vater geblieben, der jetzt, während wir uns unterhalten, versuchen mag, sie umzubringen …«
»Wieso sollte er das versuchen?« Kate war völlig aufgelöst.
»Weil er nicht gesund ist. So glücklich Sie gewesen sind, als Sie ihn wach sahen, schlagen Sie es sich aus dem Kopf. Ihre Hoffnung stecken Sie besser zurück in die dunkle Ecke weit hinten in Ihrem Geist, wo Sie sie bislang verwahrten, denn das Leiden, das ihn ans Bett fesselte, ist nicht wie durch Zauberei geheilt, sondern ließ ihn mit verdrehtem Hirn und weiß Gott was sonst rege werden.« Je länger Kate ihn ansah, desto älter schien er zu werden, als sei sein Gesicht ein Gemälde, mit dem sich der Künstler unzufrieden zeigte, weshalb er zum Kaschieren der Unzulänglichkeiten Striche und dunkle Falten hinzufügte. »Er behauptet, er sei eine solche Kreatur, denn eine andere habe ihn auf der Jagd verwundet und infiziert. Wenn wir nach Hause zurückkehren, wird er sich verwandelt haben.« Er redete nun wie ein Wasserfall und im Takt von Kates Herzschlag, den aufkommende Panik beschleunigte. »Ich ließ ihn dort, weil ich seinen Worten keinen Glauben schenkte, und falls es doch stimmt, wie soll ich mit ihm verfahren? Eigentlich hätte ich Mrs. Fletcher gleich eigenhändig umbringen können.« Er drehte sich ruckartig um und zog die Whiskeyflasche, die Sarah Laws ihm gegeben hatte, damit er mit ihrem verstorbenen Gatten anstieß, vom Sattel. Beim Aufschrauben fuhr er fort: »Das allein würde jeden Mann dazu bringen, sich niederzulegen und den Tod herbeizusehnen, aber nein, für mich wird es noch ärger … und damit auch für Sie. Ich ließ zu, dass Sie mich begleiten, und wer weiß, vielleicht wären Sie entweder ebenfalls umgekommen, oder Ihr Vater hätte sich bei Ihrem Anblick besonnen; in jedem Fall aber schleifte ich Sie mit hierher auf den Spielplatz einer Horde Monster, an deren Existenz ich immer noch zweifeln möchte, obwohl ich sie verdammt noch mal mit eigenen Augen gesehen habe!«
»Grady …«
Der Wind zerzauste sein graues Haar, während er sich mit dem Handrücken über die Stirn fuhr und einen ordentlichen Zug aus der Flasche nahm. Danach atmete er zischend zwischen den Zähnen aus und schaute sie an, ein schieres Nervenbündel. »Neil ist wahrscheinlich tot«, behauptete er, »und ich bin schuld, weil ich zuließ,
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