Herr der Moore
möge nicht allein gekommen sein, und eine Rotte lauerte ihr im Dunkeln auf. Ein anschwellendes Grummeln hinter ihr zwang sie dazu, ihre Furcht abzulegen, und sie hastete weiter. Sie wusste, wenige Schritte trennten sie von Versteckmöglichkeiten und Waffen, mit denen sie sich wehren konnte.
Der offene Hauseingang zeigte ihr die Silhouette des Untiers, dann kam es gemächlich die Stufen herunter. Ließ es sich Zeit, weil es sie geradewegs in die Arme seiner Geschwister treiben wollte? Mrs. Fletcher hielt den Atem an; schon hatte sie die Ställe erreicht und hastete hinein. Drinnen roch es nach Heu und längst entferntem Mist, dessen Gestank wie eingebrannt war. Sie fand sich schnell in der Finsternis zurecht und gelangte an die hintere Wand, da ertastete sie einen Holzstab. Sie packte zu und zog daran, bis er sich von einem Metallbock löste. Sie fuhr daran entlang nach oben. Am Ende steckte dünner Stahl, der sich von ihr wegbog.
Eine Mistgabel.
Perfekt.
Blitze erhellten das Gut, und gleich darauf krachte Donner durch die schwarze Masse am Himmel. Die Haushälterin fuhr herum und fasste die offene Stalltür ins Auge. Ihre Hände umschlossen fest die Gabel. Sie streckte sie von sich, schon kam der schlüpfrige Schatten um die Ecke und ins Gebäude. Seine blassen Augen schwelten verheißungsvoll.
»Florrrenccce«, zischte es, und der Schock, es sprechen zu hören, schwächte Mrs. Fletcher. Woher kannte ein derart widerwärtiges, unnatürliches Ding ihren Namen? Fast hätte sie die Waffe fallen gelassen und sich ihrem Schicksal ergeben, denn gewiss doch: Solch diabolisches Leben ließ sich nicht von Menschen beziehungsweise etwas Menschgemachtem unschädlich machen. Rasch aber fasste sie sich wieder und klaubte jedes Fragment ihres christlichen Glaubens zusammen. So wurde sie zuversichtlich, das Böse zu besiegen oder wenigstens zu vertreiben. Schließlich würde niemand Grady und die Kinder vorwarnen, wenn sie nichtsahnend zurückkehrten, um ihren Vater wiederzusehen, so sich Mrs. Fletcher einfach kaltstellen ließ, auf dass sich das Vieh aufs Ärgste an ihr verging.
Dieser Gedanke führte zu einem weiteren, und es versetzte ihrem Herzen einen Stich, sich die Gesichter der Kinder unleugbar vor Augen halten zu müssen, während sie ihnen unterbreitete, was geschehen, was aus ihrem Vater geworden war – nach all den Jahren, die sie darauf gewartet hatten, dass er aus seinem Stupor erwachte. Sie würde behaupten, ein Dämon sei gekommen und habe ihn mitgenommen, während sie in Erklärungsnot geriet, da sie insgeheim selbst dachte, es sei ein Dämon, der ihren Master entführt hatte, jetzt im Torweg stand und auf sie wartete.
Wie er sie betrachtete, stand sein Maul ein Stück weit auf, als grinse er.
»Hinfort«, rief sie im erzwungenen Ton einer Gebieterin. »Los verschwinde, oder ich schwöre, ich durchbohre dich.«
Das Monstrum rührte sich nicht.
»Zieh weiter«, blaffte sie und stocherte mit der Mistgabel vor seiner Nase herum. »Sofort!«
Es roch nach feuchter Erde – umso eindringlicher, als es vorsichtig näherkam.
»Verflucht! Hau endlich von hier ab!«
Es blieb uneinsichtig, senkte jedoch das Haupt. Das abwegig phosphoreszierende Licht seiner Augen warf Schatten auf den Lehmboden der Stallung. Mrs. Fletcher stach ernsthaft zu, da schob es unbeeindruckt den Kopf zur Seite, um auszuweichen.
Da ihr keine andere Wahl mehr blieb, hatte sie nur noch eines im Sinn. Dieses Hin und Her mochte die ganze Nacht andauern oder bis sie Kraft und Willen verlor oder sobald das Wesen die Gabel nicht mehr als Bedrohung ansah und angriff. So schob sich die Frau langsam nach rechts, während sie es gleichzeitig auf Distanz hielt. Dadurch vermochte sie, es zu umkreisen, und schaffte es zum Ausgang. Die Torflügel schwangen aus; vielleicht war sie schnell genug, um es einzusperren – ein riskantes Unterfangen, bei dem sie höchstwahrscheinlich scheitern würde, doch sonst blieb ihr nichts übrig. Wagte es unterdessen, sie zu attackieren, spießte sie es auf wie ein Schwein und ließ es im Stall verbluten.
Gut, dachte sie und verspürte ein wenig Rückhalt, es mag ein miserabler Plan sein, aber immerhin besser, als stehen zu bleiben und darauf zu warten, dass mir der Balg zuvorkommt. Sie schüttete so viel Adrenalin aus, dass sie einen Geschmack wie von Kupfer im Mund verspürte, der sie an Blut erinnerte, also spuckte sie und bewegte sich weiter, während das Geschöpf die Gegenrichtung einschlug. Es war eindeutig
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