Herr der Träume
sagte er. »Komm herein.«
Der Hund schnüffelte einige Male, als müßte er sich erst davon überzeugen, daß in dem Zimmer keine Gefahr für seinen Schützling bestand. Dann wandte er seinen Schädel wieder Render zu, nickte kurz zustimmend und stieß mit der Schulter die Tür vollends auf.
Eileen folgte ihm, das Koppel leicht in der Hand haltend. Der Hund ging lautlos über den dicken Teppich und hielt dabei den Kopf tief, als würde er sich an etwas anschleichen. Keinen Augenblick lang wandte er den Blick von Render.
»Das ist also Sigmund ... Wie geht es Ihnen, Eileen?«
»Danke, gut. Ja, er wollte so gern mitkommen, und ich wollte, daß Sie ihn kennenlernen.«
Render führte sie zu einem Stuhl, und sie setzte sich. Sie löste den Doppelriemen vom Koppel des Hundes und legte ihn auf den Boden. Sigmund setzte sich daneben und betrachtetete weiterhin Render.
»Wie steht's mit dem Psychiatrischen Institut?«
»Es hat sich nichts verändert. Würden Sie mir eine Zigarette geben? Ich habe meine vergessen.«
Er steckte ihr eine zwischen die Finger und gab ihr Feuer. Sie trug ein dunkelblaues Kleid, und die Brille war ebenfalls blau. Die Flamme seines Feuerzeugs spiegelte sich in dem silbernen Plättchen auf ihrer Stirn. Das schulterlange Haar erschien ihm etwas heller als das letztemal; es hatte die Farbe einer frisch geprägten Kupfermünze.
Render setzte sich auf eine Ecke seines Schreibtischs und angelte mit dem Fuß den Aschenbecher-Globus zu sich heran.
»Sie erwähnten einmal, sie hätten bereits gesehen, obwohl Sie blind sind. Was haben Sie damit gemeint?«
»Ich hatte eine Neuropartizipations-Sitzung mit Dr. Riscomb, ehe er verunglückte. Er wollte meinen Geist an visuelle Eindrücke gewöhnen. Leider kam es zu keiner zweiten Sitzung.«
»Aha. Und was geschah bei der Sitzung?«
Sie kreuzte einen Fuß über dem anderen, und Render stellte fest, daß sie wohlgeformte Knöchel besaß.
»Er zeigte mir hauptsächlich Farben. Es war ziemlich überwältigend.«
»Wie gut können Sie sich an die Farben erinnern? Wann war das?«
»Vor etwa sechs Monaten. Und ich werde sie niemals vergessen. Seither habe ich stets in Farbe geträumt.«
»Wie oft?«
»Mehrere Male in der Woche.«
»Welche Assoziationen haben Sie dazu?«
»Keine besonderen. Sie erscheinen einfach gleichzeitig mit anderen Wahrnehmungen in meinem Geist.«
»Auf welche Weise?«
»Nun, wenn Sie mir zum Beispiel eine Frage stellen, so empfinde ich sie als orange-gelb. Ihre Begrüßung war etwas Silbriges. Und wie Sie jetzt dasitzen und schweigen, empfinde ich Sie als tiefblau, fast violett.«
Sigmund wandte seinen Kopf dem Schreibtisch zu und starrte auf dessen Seitenwand.
Vermag er das Tonbandgerät darin zu hören? fragte sich Render. Und wenn, kann er erraten, worum es sich handelt und was es tut?
War dies der Fall, so würde er es zweifellos Eileen mitteilen, und obwohl sie sicher von dieser allgemein praktizierten Gewohnheit wußte, so wollte sie vielleicht nicht daran erinnert werden, daß er die Sitzung als Therapie betrachtete. Vielleicht würde er mit dem Hund darüber sprechen.
»Ich werde also mit einer einfachen Phantasiewelt beginnen und Sie heute mit einigen Grundformen bekannt machen.«
Sie lächelte, und Render blickte auf das Monstrum an ihrer Seite, dessen Zunge aussah wie ein Stück Fleisch, das über einem elfenbeinernen Zaun hing. Lächelte es auch?
»Danke«, sagte sie.
Sigmund wedelte mit dem Schwanz.
»Na schön.« Render dämpfte seine Zigarette in der Nähe von Madagaskar ab. »Ich werde nun das Ei holen und testen. Mittlerweile soll ein wenig Musik zur Entspannung beitragen.« Er drückte auf einen Knopf.
Sie wollte etwas erwidern, aber eine Wagner-Ouvertüre übertönte ihre Worte. Render drückte rasch wieder den Knopf und sagte in die entstandene Stille: »Ich dachte, Respighi käme als nächstes.« Nach einigem Suchen hatte er das Gewünschte gefunden.
»Sie hätten Wagner lassen können«, meinte sie. »Ich mag ihn ziemlich gern.«
»Nein, danke«, antwortete er und öffnete den Schrank. »Ich würde mich zwischen den vielen Leitmotiven verirren.«
Das große Ei glitt lautlos aus dem Schrank. Render vernahm ein leises Grollen hinter sich, als er es vor sein Schaltpult zog. Er wandte sich rasch um.
Sigmund hatte sich erhoben und schlich mit gestrecktem Schwanz und gefletschten Zähnen schnüffelnd um den Apparat.
»Schon gut, Sigmund«, sagte Render. »Es ist eine Omnikanal-Neuro-T&R-Einheit.
Weitere Kostenlose Bücher