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Herr der Welt

Herr der Welt

Titel: Herr der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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entwickelt, die Brust war breit und – ein
    charakteristisches Zeichen großer Willenskraft – der Stirn-
    und Brauenmuskel immer zusammengezogen. Sicherlich
    hatte er eine eiserne Konstitution, eine unerschütterliche
    Gesundheit und – wie soll ich sagen? – schon mehr glü-
    hende Blutkörperchen unter der derben Haut.
    Wie seine Gefährten trug der Kapitän die gewöhnliche
    Seemannskleidung mit einem Wachstuchrock darüber und
    auf dem Kopf eine wollene, schirmlose Mütze.
    Ich sah ihn an. Er schien meinen Blicken nicht auszuwei-
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    chen, wenigstens verriet er eine eigentümliche Gleichgül-
    tigkeit, als ob er keinen Fremden an Bord hätte.
    Brauche ich hier noch hinzuzufügen, daß der Kapitän
    der ›Terror‹ einer von den beiden Männern war, die mir sei-
    nerzeit vor meinem Haus in der Long Street auflauerten?
    Und wenn ich ihn wiedererkannte, so erkannte er in mir
    ohne Zweifel den Oberinspektor Strock, dem früher der
    Auftrag erteilt worden war, in den Great Eyrie einzudrin-
    gen.Als ich ihn so betrachtete, fiel mir plötzlich ein – was
    mir in Washington merkwürdigerweise entgangen war –,
    daß ich sein etwas auffälliges Gesicht wohl schon früher ge-
    sehen hatte . . . doch wo? . . . auf einer Tafel im polizeilichen
    Informationsbüro oder nur in dem Schaukasten irgendei-
    nes Fotografen?
    Diese Erinnerung war nur sehr schwacher Natur, und ich
    konnte jetzt recht gut der Spielball einer Täuschung sein.
    Waren seine Gefährten so unhöflich gewesen, mir nicht
    zu antworten, so tat er vielleicht meinen Fragen mehr Ehre
    an. . . . Wir sprachen ja beide dieselbe Sprache, obgleich ich
    es nicht hätte beschwören wollen, daß er ein eingeborener
    Amerikaner wie ich war. Er mußte denn entweder den Ent-
    schluß gefaßt haben, mir nicht zu antworten oder tatsäch-
    lich nichts zu antworten haben.
    Was wollte der Mann mit mir beginnen? . . . Gedachte er
    sich meiner ohne weitere Umstände zu entledigen? . . . War-
    tete er nur die Nacht ab, um mich dann ins Meer zu werfen?
    . . . Das Wenige, was ich von ihm wußte, konnte ihm ja hin-
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    reichend erscheinen, mich als einen gefährlichen Zeugen zu
    betrachten. Da wäre es freilich besser gewesen, mich gleich
    am Ende des Haltetaus hängen und umkommen zu lassen.
    Das hätte ihm die Mühe erspart, mich auf den Grund zu
    versenken.
    Ich erhob mich, ging nach dem Heck und blieb unbefan-
    gen vor ihm stehen.
    Da richtete er den scharfen, wie eine Flamme lodernden
    Blick gerade auf mein Gesicht.
    »Sind Sie der Kapitän?« fragte ich.
    Mein Gegenüber schwieg.
    »Dieses Fahrzeug . . . das ist doch die ›Terror‹?«
    Auf meine Frage keine Antwort.
    Jetzt trat ich näher auf ihn zu und wollte ihn am Arm
    fassen . . .
    Er drängte mich ohne Gewaltsamkeit, doch mit einer
    Bewegung zurück, die eine ungewöhnliche Körperkraft er-
    kennen ließ.
    Noch einmal näherte ich mich ihm.
    »Was wollen Sie mit mir anfangen?« fragte ich jetzt mit
    mehr Nachdruck.
    Ich glaubte, jetzt würden endlich ein paar Worte über
    seine Lippen kommen, die er in sichtbarer Erregung zusam-
    mengekniffen hatte. Doch wie um dem zu entgehen, wandte
    er den Kopf ab. Dann legte er eine Hand auf den Regulator
    an seiner Seite.
    Sofort arbeitete die Maschine schneller.

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    Mich übermannte der Zorn, ich konnte mich nicht mehr
    bezähmen.
    »Wie Sie wollen!« rief ich ihm zu. »Beharren Sie in Ih-
    rem Schweigen! . . . Ich . . . ich weiß dennoch, wer Sie sind,
    so wie ich weiß, welcher dieser Apparat ist, über den man
    von Boston, von Madison und vom Kirdallsee berichtet hat.
    Ja, es ist derselbe, der über die Landstraßen hinrollt, der die
    Meere und Seen durchfurcht und auch unter dem Wasser
    hingleitet. Dieses Fahrzeug aber, das ist die ›Terror‹, und Sie
    . . . Sie sind der, der es befehligt . . . Sie, der sich stark genug
    glaubt, gegen die ganze Welt anzukämpfen . . . Sie, der ›Herr
    der Welt‹?«
    Wie hätte er noch leugnen wollen? . . . Ich sah ja die drei
    Anfangsbuchstaben auf dem Helmstock des Steuers.
    Zum Glück gelang es mir noch, mich zu bezähmen, und
    überzeugt, auf meine Fragen ohne Antwort zu bleiben,
    setzte ich mich neben dem Lukendeckel meiner Kabine nie-
    der. Lange Stunden hindurch schaute ich hinaus aufs Was-
    ser, in der Hoffnung, am Horizont eine Küste aufsteigen zu
    sehen . . .
    Nichts . . . warten, hier hieß es warten, mir blieb nichts
    anderes übrig. Der Tag konnte doch unmöglich zu Ende

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