Herr der Welt
ge-
hen, ohne daß die ›Terror‹ in Sicht der Küste des Eriesees
kam, da das Fahrzeug unabänderlich die Richtung nach
Nordosten einhielt.
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14. KAPITEL
Der Niagara
Die Zeit verging weiter ohne jede Veränderung der Sach-
lage. Der Steuermann war an seinen Posten zurückgekehrt
und im Schiffsinnern überwachte der Kapitän den Gang der
Maschinen. Ich bemerke nochmals, daß diese auch nach
Beschleunigung des Laufs ohne jedes Geräusch und mit er-
staunlicher Regelmäßigkeit arbeiteten. Nie vernahm man
einen der unvermeidlichen Schläge, die bei Maschinen mit
Zylindern und Kolben vorkommen. Ich schloß daraus, daß
die ›Terror‹ bei jeder Art der Fortbewegung in verschiede-
ner Form durch rotierende Maschinen angetrieben werden
müsse; es war mir aber unmöglich, darüber Gewißheit zu
erlangen.
Andererseits bemerkte ich, daß im eingehaltenen Kurs
keine Änderung eintrat. Immer fuhren wir über den See
nach Nordosten und folglich in der Richtung auf Buffalo
weiter.
»Warum verfolgt der Kapitän diesen Weg?« fragte ich
mich. »Er kann doch nicht die Absicht haben, im dortigen
Hafen, inmitten einer großen Zahl von Fischerbooten und
Handelsschiffen, vor Anker zu gehen. Will er den Eriesee
verlassen, so bietet ihm der Niagarastrom doch wirklich
keinen Ausgang, denn dessen Fälle sind ja, selbst für einen
Apparat wie den seinigen, unüberwindbar. Den einzigen
Ausgang bietet der Detroit River, und von dem entfernt sich
die ›Terror‹ offenbar immer weiter.«
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Da kam mir der Gedanke: Vielleicht will der Kapitän
an einer Uferstelle des Eriesees die Nacht abwarten. Dann
würde das zum Automobil verwandelte Fahrzeug die Nach-
barstaaten schnell durchmessen können.
Gelang es mir nun nicht, während der Fahrt über Land
zu entweichen, so war alle Hoffnung verloren, meine Frei-
heit je wiederzugewinnen.
Freilich würde ich dabei in Erfahrung bringen, wo die-
ser »Herr der Welt« sich verbarg und so gut verbarg, daß
man sein Versteck noch nie hatte auffinden können . . . das
mußte ich wohl erfahren, wenigstens wenn er mich nicht
auf die eine oder andere Weise ausschiffte. Was ich unter
»ausschiffen« verstehe, darüber ist sich der geneigte Leser
wohl klar.
Die Nordostspitze des Sees war mir sehr gut bekannt,
hatte ich doch den Teil des Staats New York, der zwischen
dessen Hauptort Albany und der Stadt Buffalo liegt, oft ge-
nug besucht. Eine polizeiliche, jetzt 3 Jahre zurückliegende
Angelegenheit hatte mir Gelegenheit gegeben, die Ufer des
Niagara stromauf- und stromabwärts von den Fällen bis
zur großen Hängebrücke kennenzulernen, und die beiden
großen Inseln zwischen Buffalo und dem Flecken Niagara
Falls, ferner die Insel Navy und auch Goat Island (die Zie-
geninsel) zu besuchen, die den amerikanischen Fall von
dem kanadischen scheidet.
Bot sich mir also eine Gelegenheit zur Flucht, so befand
ich mich nicht in mir unbekanntem Land. Doch würde sich
eine solche Gelegenheit auch bieten und – im Grunde –
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wünschte ich sie denn herbei und würde ich sie dann be-
nutzen? Wie viele Geheimnisse barg noch diese Geschichte,
mit der mich ein glücklicher Zufall – oder war’s vielleicht
ein unglücklicher? – so eng verknüpft hatte!
Daß sich mir die Möglichkeit böte, eines der Ufer des Ni-
agarastroms zu erreichen, war leider wohl kaum anzuneh-
men. Die ›Terror‹ verirrte sich jedenfalls nicht auf diesen
abgesperrten Strom und näherte sich wahrscheinlich auch
nicht den Ufern des Eriesees. Im Notfall tauchte sie un-
ter, und nachdem sie den Detroit River hinabgefahren war,
rollte sie, zum Automobil unter der Leitung ihres Chauf-
feurs verwandelt, über die Landstraßen der Union dahin.
Das waren so die Gedanken, die in mir aufstiegen,
während ich den Horizont vergeblich mit den Blicken ab-
suchte.
Und daneben bestand noch immer die unlösbar blei-
bende Frage: Warum hatte der Kapitän mir jenen Drohbrief
zugehen lassen, den der Leser kennt? . . . Welche Ursache
hatte er, mich in Washington zu überwachen? Und endlich,
welches Band verknüpfte ihn mit dem Great Eyrie? Zuge-
geben, daß er durch unterirdische Kanäle in den Kirdallsee
gelangen konnte . . . doch durch jene unübersteigbare Fel-
sumwallung . . . nein, das nicht!
Am Nachmittag gegen 4 Uhr konnten wir, unter Berück-
sichtigung der Schnelligkeit der ›Terror‹ und der unverän-
dert eingehaltenen Fahrtrichtung, kaum
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