Herr der zwei Welten
seinem Ermessen, wieder unter Kontrolle hatte. Dann fragte er:
„Und? Was machen wir jetzt? Was willst du weiter tun?“
Der Spanier musterte sein Gegenüber eindringlich. Beinahe so, als befände der sich wieder auf einer Geistreise. Dann nickte er leicht.
„Ich denke, ich weiß, wie sie dorthin gelangt ist! – Die Villa in der Bergstraße … du erinnerst dich? Die, die sie verkaufen wollte. Ihr letzter Auftrag. Die Villa ist der Schlüssel! Die Tür in die Bunte Welt befindet sich dort. Ja, so muss es einfach sein! Ich werde sie finden!“
Gaston sah ihn jetzt an, als wäre er ein Geist. Eugeñio hatte vergessen, dass der Franzose ja gar nicht wusste, wovon er sprach. Er hatte nichts von all dem mitbekommen.
„Die Bunte Welt? Was zum Teufel meinst du? Aber egal … ich werde mit dir gehen!“
Gaston machte eine Bewegung, als wolle er sich selbst den Vogel zeigen. Aber dann nickte er noch einmal.
„Ja, ich werde dich begleiten!“
Jetzt war es an Eugeñio zu staunen.
„Du willst mich wirklich begleiten? Hast du keine Angst, dass dieser Weg keine Rückkehr mehr erlaubt? Wo bleibt deine Liebe für das Nachtleben?“
Gaston zeigte wieder seinen gewohnten Sarkasmus.
„Hört, hört! Was du nicht sagst! Willst du mir etwa sagen, dass deine vampirische Existenz dir keinen Spaß macht?! Bevor du dieses Mädchen getroffen hast, hattest du jedenfalls nichts gegen diese Art von Leben! Oder liege ich da etwa falsch?“ Der Franzose sah Eugeñio eine Weile forschend an, dann schüttelte er den Kopf, als wenn er ein lästiges Insekt vertreiben wollte.
„Ich finde das Ganze zwar mehr als nur … na sagen wir mal ... verrückt. Aber gerade deshalb will ich dich begleiten. Außerdem, wenn deine geliebte kleine Sterbliche dort leben kann, weshalb dann nicht auch wir? Die Sache hat angefangen mich zu interessieren, also werde ich dich begleiten. Ich denke doch frisches Blut gibt es auch dort. Also? Du hast doch nicht plötzlich was dagegen?“
Eugeñio überlegte. Dann schüttelte er den Kopf.
„Nein, ich bin dir sogar dankbar. Kann schon sein, dass ich deine Hilfe noch mal benötige.“
Gaston lachte laut.
„Dann lass uns los! Worauf warten wir dann noch. Wir werden jetzt also in diese Villa gehen. Mh! Kennst du eigentlich die neue Besitzerin? Sie ist ganz nach meinem Geschmack. Also, ich dachte, du hättest keine Zeit zu verschenken?!“
Ja, so kannte Eugeñio den Franzosen. Zuerst vorsichtig wie eine Katze, dann, wenn er sich erst einmal entschieden hatte, draufgängerisch wie ein vorwärts stürmendes Nashorn.
„Wir werden in dieses Haus gehen. –Aber erst morgen Nacht! Wir brauchen Zeit für unser Vorhaben. Die haben wir heute nicht mehr. Nicht mehr lange, und der Tag bricht an. Wir müssen uns also gedulden. Schließlich suchen wir nicht nach einer normalen Tür. Oder glaubst du etwa, da gibt’s irgendwo im Haus eine Tür, die du nur öffnen musst, und schon bist du da? -Ich jedenfalls werde noch einmal auf die Straßen gehen.“ Ein Schmunzeln begleitete seine letzten Worte. „Mein Hunger ist noch nicht gestillt. Also, ich weiß ja nicht, was du vorhast, aber ich für meinen Teil …“
Damit war er bereits an der Tür und ließ einen sprachlosen Gaston zurück. Gaston starrte ihm noch eine Weile gebannt hinterher, aber er hatte verstanden! Für heute musste er sich damit begnügen. Auch gut! Plötzlich spürte er in der Tat noch einen Bärenhunger. Der Hunger zog ihm die Eingeweide zusammen. Es schmerzte richtig. Für solche Reisen mochte er nicht so oft den Begleiter spielen! Mentalreisen waren einfach zu anstrengend! Selbst dann, wenn man nur den Reisenden zu überwachen hatte. Gaston hatte selbst einmal solch eine Mentalreise unternommen. Damals hatte ein anderer für ihn den Überwacher gespielt. Aber er hatte nichts gefunden, außer dem was er schon vorher glaubte zu wissen. Da draußen gab es nichts! Aber er hatte sich auch nicht so weit in dieses uferlose Meer gewagt, wie es heute der Spanier getan hatte. Wie hatte er es nur geschafft, in solch entfernte Ebenen einzudringen? Gaston zuckte die Schultern und machte sich dann auf, dem Spanier in die nächtlichen Straßen zu folgen. Schon spürte er den lieblichen Duft von frischem Blut.
*
Verwirrt schlug Julie die Augen auf. Sie blinzelte in ihre Umgebung. Zuerst hätte sie nicht zu sagen vermocht, wo sie sich befand. Dann sickerte die Erkenntnis so langsam durch. Aber was war geschehen? Julie fuhr sich mit der Hand über ihre Stirn. Sie
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