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Herr der zwei Welten

Herr der zwei Welten

Titel: Herr der zwei Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Meyer
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Tina erinnerte. Auch ihre Schwester hatte das immer getan, wenn es ihr schlecht ging. Nur langsam beruhigte sie sich wieder. Doch nun wurde ihr die Absurdität der Situation erst so richtig bewusst. Alle standen um sie herum. Machten sich Sorgen. Dabei war ihr doch nur kalt! Oh Gott, sie schämte sich. Das Ganze war ihr jetzt peinlich. Konnte sie sich nicht mal alleine wärmen? Ohne alle anderen wach zu machen?
    „Ihr solltet nicht hier herumstehen. Ihr seid doch sicher alle müde und ihr habt euren Schlaf verdient. Mir geht es doch wieder gut.“
    „Aber Julie“ schimpfte TsiTsi. „Du bist uns doch nun wirklich wichtiger. Freunde haben doch da zu sein, wenn sie gebraucht werden!“
    Julie spürte, wie ihr jetzt die Hitze ins Gesicht stieg. Doch da betrat Karsina die Höhle. Diesmal brachte sie ein Stück gebratenes Fleisch und Gemüse mit. Beides war so heiß, dass es noch dampfte. Sie hatten also sogar das Feuer wieder angemacht! Verflucht! Doch der Hunger war stärker als jedes Schamgefühl. Julie musste sich zusammennehmen, um Karsina die Schüssel nicht aus der Hand zu reißen. Ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Speisen noch heiß waren, schlang sie alles hinunter. Als der letzte Krümel aufgegessen war, spürte sie, wie die Wärme zurück in ihren Körper kam. Sie fror nicht mehr. Doch dafür schämte sie sich jetzt noch mehr!
    Karsina schien ihre Gedanken erraten zu haben, denn sie sagte:

„Du brauchst dich nicht zu schämen, meine Freundin. Denke besser darüber nach, woran es gelegen haben könnte, dass du so geschwächt warst.“
    Julie war verdutzt. Aber tatsächlich, das, was ihr so sehr zugesetzt hatte, war nichts anderes gewesen, als Schwäche! Unwillkürlich musste sie an die vielen Sportveranstaltungen aus ihrer Schulzeit denken. Julie war damals sehr ehrgeizig gewesen; sie wollte immer wenigstens zu den Besten gehören, wenn sie nicht sogar die Beste sein wollte. Gerade bei den Langstreckenläufen hatte sie sich deshalb fast immer verausgabt. Wie oft war sie einfach am Ziel umgekippt? Sie wusste es nicht mehr. Tina hatte damals immer ein Theater gemacht, als ob sie selbstmordgefährdet gewesen wäre. So ein Quatsch! Aber das Gefühl damals war ähnlich dem, das sie nun erlebt hatte. Nur dass sie sich diesmal noch viel schlechter gefühlt hatte als damals! Es war ja geradezu so, als hätte sie alle Energie, die in ihr war, einfach so verbraucht. Aber wodurch? Sie hatte doch geschlafen. Seid wann war das denn anstrengend?!
    Karsina sah sie noch immer an, als wartete sie auf eine Antwort. Doch was sollte Julie sagen? Sie musste doch selbst erst einmal dieses Wirrwarr von Gedanken wieder in geordnete Bahnen zwingen! Doch etwas in ihr riet ihr, der Gelbländerin von ihrem merkwürdigen Traum zu erzählen. Obwohl sie nicht glaubte, dass dieser Traum etwas mit dem Zustand zu tun hatte, in dem sie erwacht war. Dennoch konnte es ja nicht schaden, wenn sie ihn erzählte. Natürlich ließ sie kein Wort über die wahre Natur von Eugeñio verlauten, ansonsten erzählte sie ihren Traum aber haarklein in allen Einzelheiten. Vielleicht würden die Menschen in dieser Welt ihr sogar glauben, wenn sie ihnen erzählte, was Eugeñio wirklich war. Aber sie würden ihn für ein Monster halten. Nein, schon allein bei dem Gedanken daran, lief es ihr eiskalt über den Rücken. Sie wusste, dass er kein Monster war! Sie liebte diesen Mann und schaffte es dadurch alle Gedanken an seine wahre Natur einfach zu ignorieren. Nur manchmal schlichen sich derartige Gedanken bei ihr ein, wie heimliche Diebe in der Nacht. Doch in Situationen wie dieser, nach solch einem merkwürdigen Traum, waren ihr die Unterschiede zwischen sich und ihm schmerzlich bewusst! Sie dachte still an den Anfang, an den Tag, als sie sich plötzlich in dieser Welt wiedergefunden hatte. An diesem Tag hätte sie beinahe dieses Geheimnis preisgegeben. Aber da kam ihr auch diese Welt noch so unwirklich vor und die Menschen waren ihr fremd. Doch das war nun anders. Sie wusste, dass diese Welt genauso real war, wie die Welt aus der sie gekommen war. Und sie war ihr genauso wichtig geworden! Diese Welt und die Menschen, einfach alles! Nein, Eugeñios Geheimnis würde bei ihr sicher sein. Hier und überall!
    Als Julie ihren Traum erzählt hatte, lachten Simonja und TsiTsi entzückt. Vermutlich hatte ihre Erzählung geklungen, wie ein schöner Liebesroman. Na ja, was hatte sie erwartet? Doch Karsina blieb still. Julie sah sie an und wartete auf eine

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