Herr der zwei Welten
Die Nebelgrenze war nach zwei Tagen erreicht. Da sie ja hervorragende Führer hatten, fanden sie natürlich sofort den kürzesten Weg. Nun kam der endgültige Abschied. Julie konnte ihre Tränen nun nicht länger zurückhalten. Auch Simonja weinte. TsiTsi und Dervit dachten wohl an Thela und freuten sich darauf, ihre Tochter nun endlich wieder zu sehen. Deshalb fiel der Abschied ihnen nicht ganz so schwer. Aber auch ihre Gesichter zeigten Traurigkeit. Karmai reichte noch einmal jedem seine Hand. Dann machten sie sich auf den Weg und waren schon nach wenigen Schritten von dichtem Nebel umgeben. Doch diesmal spürten sie keine Angst. Diesmal wussten sie ja, dass keine Gefahr drohte und sie, nachdem sie die Nebelgrenze passiert hatten, sich im Blauen Land wiederfinden würden. Die Vorfreude steigerte sich mit jedem Schritt!
*
Thela war kaum noch zu beruhigen. In letzter Zeit waren ihre Nerven stark ramponiert. Aber wer wollte das dem Kind verdenken? Schließlich war ihre gesamte Familie schon seit Längerem nicht mehr hier. Niemand wusste, was mit ihnen geschehen war. Pieter verfluchte nun schon zum x-ten Mal, dass es hier keine Möglichkeiten gab, Nachrichten von einem Land zum anderen zu übertragen. Auch wenn er versuchte das System der Post den Blauen näher zu bringen, würde es nicht helfen, denn dazu bräuchte man auch den Kontakt zu den Völkern der anderen Länder. Dies war hier aber eben nicht möglich. Niemand hier konnte etwas über sie sagen, da keiner der Blauländer, die Pieter kannte, jemals im Gelben oder im Grünen Land gewesen waren. Also musste er jeden Plan, den er in letzter Zeit geschmiedet hatte, schnell wieder über Bord werfen. So blieben sie eben im Ungewissen, was den Verbleib der Freunde und den Erfolg ihrer Mission anbelangte. Hatten sie diese seltsame Dsaidsa-Blüte noch rechtzeitig finden können, um Karon das Leben zu retten? Liz betete täglich darum und um das Leben der anderen. Pieter wusste das. Schließlich machte auch er sich große Sorgen. Nicht nur sein Sohn fehlte ihm sehr, auch die anderen waren für ihn wichtig geworden. Liz hatte noch dazu alle Hände voll damit zu tun Steff und Thela zu beruhigen. Aber vielleicht halfen ihr die beiden Kinder, ihren eigenen Kummer besser zu ertragen, mutmaßte Pieter. Thela lief in letzter Zeit immer weiter von Zuhause fort. Obwohl sie nicht gerade als Akrobatin geboren worden war, kletterte sie auf die höchsten Pflanzen um Ausschau nach ihrer Familie zu halten. Nicht immer ging das ohne Stürze ab. Oft war sie mit Schürfwunden und Beulen nach Hause gekommen. Aber niemals hatte das Kind geweint, weil es ihr wehtat. Ihre Tränen galten einzig und allein ihrer Mutter, ihrem Vater und ihrem Bruder. Es machte Pieter ganz wahnsinnig, dass er nicht vermochte, diese Tränen zu mildern! Einige Male war Thela so lange fortgeblieben, dass Liz ihn schickte, das Kind zu suchen. Einmal hatte er sie erst gefunden, als die beiden Sonnen schon untergegangen waren. Es war stockfinster gewesen, so wie in jeder Nacht. Die Kleine hatte sich schutzsuchend an ihn geschmiegt und er hatte, mithilfe einer kleinen Fackel, die nur wenig Licht spendete, den Nachhauseweg ertasten müssen. Immer öfter wachte Thela mitten in der Nacht schreiend auf. Liz hatte sie deshalb in Steffs Bett einquartiert, denn sie hoffte, die Nähe der Freundin könnte ihr helfen, die Nächte wieder besser durchzuschlafen. Doch auch Steff weinte immer öfters. Einmal hatte sie sogar geschrien:
„Ich weiß doch, dass Kai tot ist! Warum sagt mir das denn keiner? Er ist doch mein Bruder!“
Steff hatte sich an diesem Tag nicht beruhigen lassen und auch Liz hatte begonnen, daran zu glauben, dass ihre Tochter ein erhöhtes Wahrnehmungsvermögen besaß. Pieter wäre beinahe durchgedreht!
Nur den Bemühungen von Sina, einer neuen Freundin, die sich gerade in diesen schweren Zeiten aufopfernd um Pieters Familie kümmerte, war es zu verdanken, dass nicht die ganze Familie einen Nervenzusammenbruch erlitt.
Doch heute Morgen war etwas anders gewesen. Die Rufe der Wachen, die sie hatten aufstellen lassen, hatten fröhlich geklungen! Ihr Ruf hatte die Nachricht gebracht, dass die Gruppe, ohne Ausnahme, die Nebelgrenze passiert hatte. Sie waren zurück!
Liz wollte gleicht loslaufen, doch Pieter konnte sie, Gott sei Dank, noch stoppen. Noch waren sie zu weit entfernt, sie mussten noch warten.
Dennoch ließen sie die Zeit nicht ungenutzt verstreichen. Jetzt, da sicher war, dass sie alle bald wieder
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