Herr der zwei Welten
sein.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Obwohl Angst in seiner Stimme lag, kam er ihr doch entgegen, um sie daran zu hindern, sich wirklich etwas zu tun.
„Was machst du? Lass mich! Geh nach hinten!“ schrie Julie auf, als sie seine Arme spürte.
Eugeñio nahm sie auf den Arm, er tat als sei es das Wichtigste, dass sie sich nicht wehtat. Oh Himmel, warum hörte der denn nicht?!
Dann fühlte sie, wie sie sich auf seinem Arm dem Eingang zu bewegte. Schon fühlte sie die Zweige, wie sie über ihre nackte Haut strichen. Eugeñio stellte sie ab.
„Was hast du vor?“ schrie sie ihn an.
„Julie, nimm die Zweige zur Seite.“ Seine Stimme ließ keinen Zweifel zu. Er hatte sich entschieden! Aber Julie hatte Angst. Furchtbare Angst!
Sie schüttelte den Kopf. Sie weinte.
„Nein, bitte verlange das nicht von mir! Ich will dich nicht sterben sehen. Bitte nicht, Eugeñio!“ bettelte sie.
Die Tränen liefen ihr in schmalen Bächen die Wangen hinab. Ihre Augen flehten ihn an. Julie spürte, wie er sie ansah. Sein Atem ging schwer. Noch einmal fühlte sie sich umarmt und geküsst, und wurde dann sanft zur Seite geschoben. Julie schluckte. Obwohl sie nichts sehen konnte, machte sie die Augen zu. Ihre Fingernägel bohrten sich in ihre Handflächen.
Er konnte das Blut riechen, das aus ihren Handflächen trat. Doch er fühlte sich nicht angezogen. Langsam bog er die verflochtenen Zweige auseinander.
Er spürte einen gewaltigen Stich! Erschrocken fuhr er zurück. Seine Augen schmerzten höllisch. Sie brannten wie Feuer. Doch es waren nur seine Augen! Das Licht brannte, blendete ihn. Er nahm schützend seine Hände hoch und drückte sie auf seine Augen. Aber dieser Zustand ging vorbei. Er fühlte, wie Julie ihn festhielt, ihn stützte. Das gab ihm die Kraft. Er verschob seine Finger, ließ einen kleinen Spalt entstehen und blinzelte. Er konnte die Sonne sehen!
Zum allerersten Mal, seit zweihundertsechzig Jahren konnte er die Sonne sehen!
Überwältigt hielt er den Atem an. Noch immer hatte er seine Hände vorm Gesicht; langsam ließ er sie jetzt sinken. Es war einfach unvorstellbar! Aber tatsächlich, hier waren sie keine Vampire mehr! Der jahrhundertealte Fluch war hier unwirksam. Aber wie war das möglich? Und warum schlief Gaston den Schlaf des Todes, während er hier, mitten im Sonnenlicht stand?
„Julie!“ Er riss sie in seine Arme, hob sie hoch und tanzte mit ihr über den natürlich gewachsenen Boden. Hier hatte ihre Liebe eine Zukunft! Er konnte sie lieben, mit ihr schlafen. Hier konnte er all das tun, von was er geträumt hatte! Hier war es Wirklichkeit!
Julie beobachtete fasziniert seinen Gesichtsausdruck. Seine Reaktion war umwerfend! Sie konnte ihr Glück gar nicht fassen! Er war kein Vampir! Er war ein ganz normaler Mann, mit dem sie Tag und Nacht zusammen sein konnte!
„Felicidat!“ flüsterte er ihr ins Ohr, und drehte sich, noch immer mit ihr auf dem Arm, wie wild lachend im Kreis. Julie warf den Kopf in den Nacken und lachte mit ihm. Sie spürte beinahe, wie sie wieder feucht wurde. Am liebsten hätte sie ihn wieder geliebt. Hier! Draußen! Die Sonne auf ihren Körpern!
Jäh drang ein markerschütternder Schrei zu ihnen. Gaston war erwacht. Er hatte das Sonnenlicht bemerkt und Todesangst bekommen.
„Wahrscheinlich fühlt er schon, wie ihn die Strahlen zu Asche verbrennen!“ lachte Eugeñio.
Julie versuchte wenigstens ernst zu bleiben.
Spielerisch knuffte sie ihn auf den Arm.
„Der Arme!“ sagte sie.
„Na komm.“ Eugeñio stellte sie auf den Boden und lief einige Schritte in Richtung Höhle. Julie folgte ihm.
„Beruhige dich. Sieh doch! Es passiert nichts!“ rief er Gaston zu.
Fassungslos starrte Gaston ihnen entgegen. Dann kam er vorsichtig zu ihnen. Doch er rannte förmlich an ihnen vorbei, hinaus ins Sonnenlicht. Während Eugeñio kurz zuvor am Eingang stehen geblieben war und seine Augen geschützt hatte, stürmte Gaston mit hoch erhobenem Kopf auf das Licht zu. Doch er kam nur wenige Schritte weit. Abrupt schrie er auf, warf die Arme vors Gesicht. Seine Hände gruben sich in seine Haut und er ging in die Knie. Sofort war Eugeñio bei ihm und zerrte ihn zurück ins Dunkel der Höhle. Behutsam nahm er Gastons Hände runter. Julie rechnete regelrecht mit starken Verbrennungen, doch es sah Gott sei Dank nicht so aus. Nur seine Augen selber waren rot. Es sah aus, als hätte er aus Versehen in den Blitz einer starken Kamera gesehen.
„Du hättest es langsamer angehen
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