Herr der zwei Welten
wurden kurzerhand entwurzelt und flogen in unheimlicher Geschwindigkeit auf den Merlock zu. Julie registrierte es nicht. Die anderen hatten sich in die Höhle zurückgezogen. Sie spürte nichts davon. Sie merkte auch nicht, dass alle, die um sie herum standen, jetzt einen Knäul gebildet hatten, und sie mittendrin eingeschlossen hatten. Sie hielten sich gegenseitig fest und auch sie wurde gehalten. Nichts davon war von Belang. Es war das Ende! Julie wollte diesen Sturm nicht überleben. Sie wollte zu ihm! Das Dröhnen drohte ihr das Trommelfell zu zerreißen. Sie zitterte immer stärker. Vor Angst. Aber nicht um sich. Der Sturm hatte die Männer erreicht! Julie wimmerte. Der Film riss ab. Julie konnte schlagartig nichts mehr sehen! Der Film war aus. Nur noch ein undurchdringliches Weiß hüllte sie ein. Die Verbindung, die zwischen ihr und Eugeñio bestanden hatte, existierte nicht mehr! Julie schrie und schrie. Sie wusste, was das zu bedeuten hatte. Er war tot! In ihr war nichts mehr! Sie war tot! Innerlich gestorben. Vermutlich würde der Merlock auch sie holen. Es konnte nicht mehr lange dauern. Aber sie fühlte nur noch Gleichgültigkeit. Ohne ihren Mann wollte Julie nicht mehr leben!
Doch unvermittelt hörte Julie das Baby schreien.
Oh Gott, lass doch wenigstens das Baby leben! Bitte Gott und Morsena beschütze doch auch mein Baby!
Der Gedanke war so heftig und so stark, aber sie verstand, sie musste leben! Für sein Kind musste Julie leben! Doch schon blickten auch sie dem Merlock in sein gefräßiges Maul. Doch das Unwahrscheinliche geschah! Der Merlock wurde abgelenkt! Julie konnte seine Gegenwehr spüren! Für Sekunden wurde er langsamer, stand dann zögernd still, um dann unter lautem Getöse, an der Höhle vorbei zu jagen! Alles, was sich im Umkreis der Höhle befand, wurde durch die gewaltige Geschwindigkeit umhergewirbelt, um kurz darauf einfach eingesaugt zu werden. Schnee stob durch die entstandene Kluft, begleitet von Pflanzenresten und gefrorenem Boden. Minutenlang war alles herum weiß. Unmöglich etwas zu erkennen! Das Atmen fiel schwer, denn die Luft war durch und durch schneegeschwängert. Doch dann war der Merlock an der Höhle vorüber, der Sog legte sich. Minuten später verstummte auch das Donnern und Tosen. Schnee sank langsam zu Boden. Einige der gefrorenen Erdklumpen flogen noch ein paar Meter durch die Luft. Dann war es vorbei. Plötzlich war es ganz still! So still, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. TsiTsis Schluchzen war das erste Geräusch, das die Stille durchbrach. Julie öffnete die brennenden Augen und versuchte ihre zitternden Gliedmaßen unter Kontrolle zu kriegen. Sie versuchte aufzustehen. Sie musste alle Kraft zusammennehmen, aber dann hatte sie es geschafft. Taumelnd lief sie ein paar Schritte. Dann siegten ihr Wille und ihre Angst über ihren schwachen Körper. Sie kämpfte sich in die Richtung, aus der sie die letzten Bilder von Eugeñio empfangen hatte. Sie rechnete mit dem Schlimmsten. Trotzdem, sie musste es mit eigenen Augen sehen. Und wenn es seine Leiche war, sie musste sie sehen! Nein, was dachte sie denn da? Sie wollte hoffen! Solange sie seine Leiche nicht gesehen hatte, musste sie hoffen! Jetzt war sie nah genug. Hier hatte er gestanden, als sie ihn gesehen hatte. Als sie ihn in ihren Gedanken gesehen hatte! Sie blickte sich suchend um. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Wo war er? Jählings fuhr sie zurück. Da! Da lagen sie.
„Eugeñio!“ schrie sie und rannte los. Ihre Lungen schienen sich zusammenzuziehen. Sie bekam keine Luft mehr. Dennoch hastete sie weiter. Immer wieder versanken ihre Füße im Schnee. Wollten sie aufhalten. Doch sie kämpfte sich weiter. Die beiden Gestalten vor ihr waren vom Schnee bedeckt. Doch sie wusste auch so, wer sie waren. Julie wimmerte verzweifelt. Sekunden später warf sie sich auf die reglose Gestalt Eugeñios. Aufschluchzend versuchte sie, durch Tränen verschleierte Augen, zu sehen.
„Nein, nein! Du darfst nicht tot sein! Bitte, bitte verlass mich nicht!- Oh Gott, warum hilfst du mir nicht?!“
Ihre Stimme drohte zu ersticken. Sie saß nur da, den Blick auf sein starres Gesicht gerichtet. Sie hatte den Schnee davon abgewischt. Sein Kopf lag nun in ihrem Schoß und sie wiegte ihn sacht. Ihre bitteren Tränen ließen kleine Löcher in der blauen Schneedecke entstehen, oder flossen über sein Gesicht. Sie war verzweifelt! Was sollte sie nur tun? Ohne ihn würde ihr Leben keinen Sinn mehr ergeben. Ein zweites
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