Herr der zwei Welten
Mal käme sie nicht über eine Trennung hinweg. Nicht so!
Doch da spürte sie etwas. Erst war es nur ein schwaches Gefühl. Eine zarte Bewegung. Sie wusste nicht einmal, ob sie das nun wirklich gespürt hatte. Doch dann … Oh Gott! Spürte sie, wie er sich bewegte. Er lebte! Julie schrie auf. Riss ihn noch näher an sich. Langsam kam er zu sich.
„Hey, du erstickst mich.“ hüstelte er. „Haben wir es geschafft? Ist es vorbei? Wo ist Gaston?“
Julie schluckte und lachte und schluckte und lachte. Sie küsste seine rot gefrorenen Wangen. Stürmisch. Leidenschaftlich. Glücklich! Sie hatte sich noch nie so glücklich gefühlt. Aber dann löste sie ihre Arme, die ihn hielten, und stand auf. Sie musste nach Gaston sehen. Oh Gott! In ihrem Schmerz hatte sie gar nicht mehr an ihn gedacht. Hoffentlich lebte auch er noch. Hastig befreite sie ihn vom Schnee und zog an seinen Armen. Dann schlug sie ihm sanft auf die Wangen und hob seinen Kopf.
„Gaston! Gaston!“
Er öffnete seine Augen und sah sie an.
„Schon ok. Ist bei euch alles klar?“
Julie drückte ihn in einer stürmischen Umarmung an sich. Wurde er gerade wirklich rot? Aber dann wirbelte sie zurück zu Eugeñio. Mittlerweile hatte er es sogar geschafft aufzustehen. Gaston machte es ihm auch gleich nach. Er lächelte.
„Na Junge, was war nun schlimmer? Der Merlock oder dass du grad von einer Frau umarmt wurdest?“ fragte Eugeñio grinsend. Julie boxte ihn sacht in die Seite, worauf er ihr zublinzelte. Aber es war wirklich vorüber! Der Merlock war Vergangenheit und sie lebten alle noch.
„Kommt, lasst uns sehen, was die anderen machen.“
Langsam gingen sie zurück zur Höhle. Aber schon von Weitem konnten sie sehen, dass etwas nicht so war, wie es hätte sein sollen. Als sie näher kamen, hörten sie Klagerufe. Was war geschehen? Liz kam auf sie zugelaufen. Ihr Gesicht war stark gerötet und sie weinte. Julie blieb erschrocken stehen. Liz versuchte ihnen etwas zuzurufen, aber man konnte nichts hören. Jetzt war sie bei ihnen, Julie wollte sie schon in die Arme nehmen und ging einen Schritt auf sie zu, aber Liz lief einfach an ihnen vorbei. Ja, sie sah sie nicht einmal an! Julie blickte ihr ängstlich hinterher. Doch nun zog Eugeñio sie weiter. Dann sahen sie Pieter. Er hockte vor der Höhle, Steff in seinen Armen. TsiTsi stand hinter den beiden und ihr Blick … so voller Mitleid! Julie zitterten plötzlich wieder die Knie. Sie hörte Steff weinen und sah ihren kleinen Rücken zucken. TsiTsi wog ihren kleinen Sohn, aber es sah so aus, als hole sie sich Trost von ihm. Da war etwas falsch, schoss es Julie durch den Kopf. Da sah sie Bernhard. Er kam gerade aus der Höhle. Seine Schritte waren langsam und schwer. So als würden seine Füße Tonnen wiegen. Auch er weinte. Julie konnte es sehen, als er an ihnen vorbei lief. Bernhards Tempo war … monoton. Er blieb nicht stehen, sah sie nicht an. Er lief einfach weiter. Hinaus in die endlos scheinende blaue Weite. Plötzlich … Julie schlug ächzend die Hände vors Gesicht. Jetzt wusste sie, was geschehen war! Oh Gott, nein! Es ging um Kai. Es hatte einen Streit gegeben! Kai hatte allein sein wollen! Er war nicht mit den anderen in der Höhle gewesen, als sie das Geräusch gehört hatten und so war er auch nicht mit ihnen zusammen gewesen, als der Merlock angegriffen hatte.
„Oh mein Gott!“ keuchte sie. Eugeñio zog sie sofort wieder in seine Arme.
Stumm sahen sie zu Pieter und Steff. Pieters Gesichtsausdruck war starr. Seine Augen blickten leer. Er machte sich solche Vorwürfe! Hätte er nur nicht so reagiert, wie er reagiert hatte! Ein trockenes, stummes Schluchzen ließ seine Schultern beben.
Julie ahnte, wie es jetzt in ihm aussah. Aber was sollte sie sagen? Konnte man überhaupt etwas sagen? Gab es eine Möglichkeit, einen Vater zu trösten, der sich die Schuld am Tod seines Sohnes gab? Vermutlich nicht!
Liz kam zurück. Ihr Gesicht war rot und an ihren Wimpern hingen noch die Tränen. Aber sie schien sich wieder unter Kontrolle zu haben.
„Kai hat den Merlock auch gehört. Ich habe ihn gesehen. Er wollte wieder zu uns. Da … da ...“ Sie schaffte es nicht, weiter zu reden. Sie kniete vor Pieter und Steff und brach erneut in Weinkrämpfen zusammen. Pieter löste eine Hand von Steff und streichelte ihren Rücken. Aber in seinem Gesicht stand nichts von Trost. Vermutlich merkte er nicht einmal, dass er seine Tochter umarmte und seine Frau streichelte. Sein Kopf war geneigt, als er mit
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