Herr der zwei Welten
entdeckt. Ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen. Eugeñio überlegte, ob er es wagen konnte, zu ihnen hinüber zu gehen. Vielleicht hatte Julie ihr doch mehr erzählt, als ihm lieb sein konnte. Was, wenn diese Martina über ihn Bescheid wusste? Aber sie hatte ihn ja ohnehin bereits bemerkt. Jetzt winkte sie ihm zu. Ruhig ging er auf die beiden zu.
„Guten Abend. Schön Sie mal wieder zu sehen“ grüßte er freundlich. „Ist ihre Schwester auch hier?“ Er versuchte, so beiläufig wie möglich zu klingen. Doch Martinas Blicke wanderten unruhig umher, während der Mann kein Auge von ihm nahm. Wussten sie nun etwas? Und wenn ja, wie viel?
Doch dann schüttelte Julies Schwester nur den Kopf.
„Nein, Julie ist nicht hier. Wir suchen sie. – Aber ich wundere mich, dass Sie heute Abend hier sind. Julie sagte mir, dass sie zurück nach Spanien gezogen sind.“
Er wunderte sich. Sie hatte nicht wissen können, wo er hingezogen war. Er hatte mit keiner Silbe verraten, wo er hin wollte, als sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. Seinen Brief hatte er hier aufgegeben, nicht in Spanien. So konnte auch keine Briefmarke ihr seinen Aufenthaltsort verraten haben. Niemals hatte je ein Sterblicher gewusst, wo er sich aufhielt. Woher wusste es dann also Julie? Aber sie hatte wohl gespürt, dass er ihre Gegenwart nicht länger hinnehmen konnte.
„Julie ist seit ein paar Tagen spurlos verschwunden. – Ich mache mir Sorgen, wo sie sein könnte!“
Martina ließ diese Feststellung fast wie einen Vorwurf klingen. Ihre Augen suchten geradezu seinen Blick. Glaubte sie etwa, er hielte Julie versteckt? Das war ja ein geradezu lächerlicher Gedanke!
„Ich dachte, dass Sie mir vielleicht sagen könnten, wo ich sie finden kann.“ fügte Martina doch tatsächlich noch hinzu.
„Julie liebt sie noch immer. Ich denke, dass wissen sie auch. Wenn ihr etwas zugestoßen ist, dann geht das auf ihre Kappe!“
Es verschlug Eugeñio den Atem. Verblüfft sah er die kleine wütende Frau an. Er war es bei Gott nicht gewohnt, derart angemacht zu werden!
Aber jetzt sickerte der Sinn ihrer Worte auf ihn ein. Was hatte Julies Schwester ihm da gesagt? Hieß das, dass Julie ihr erzählt hatte, dass sie in ihn verliebt war? Es sah nicht so aus, als wenn sie ihrer Schwester etwas von seinen Geheimnissen erzählt hatte. Aber dass sie ihn liebte, das hatte sie erzählt? Aber was war nun mit Julie? Auch er konnte sich keinen Reim auf ihr Verschwinden machen. Jeder seiner Art hätte ihm die Verzweiflung sofort angehört, aber Martina war ein Mensch, deshalb schaffte er es spielerisch, sein Innerstes vor ihr zu verbergen. Für sie mussten seine Worte ruhig, beinahe desinteressiert klingen, als er sagte:
„Verzeihen sie, Senoriña! Entschuldigung, Señora!“ Eugeñio bedachte den Mann neben ihr mit einem kurzen Blick.
„Aber ich kann ihnen leider nicht sagen, wo ihre Schwester ist. Ich war lange nicht mehr in Deutschland. Genau, wie Julie es ihnen gesagt hat, lebe ich jetzt in meiner Heimat. Aber ich werde ihnen helfen, sie zu finden. Das verspreche ich ihnen.“
Sollte er sagen, dass er dachte, dass Julie sich in Gefahr befand? Nein, sicher nicht! Wie hätte er dieser Frau und deren Mann seine Gefühle und Ahnungen erklären sollen? Außerdem wollte er Martina auch nicht noch mehr aufregen, als sie sowieso schon war. Sekunden später wunderte er sich schon wieder über sich. War es nicht die Angst der Sterblichen, die ihn immer so reizte? Und jetzt machte er sich schon Gedanken über die Gefühle dieser fremden Frau. Doch die Erklärung lag auf der Hand: Sie war keine fremde Frau. Sie war Julies Schwester! Seiner Julie!
Der Geruch warmen Blutes stieg in ihm auf. Tinas Blut. Doch er unterdrückte diesen Impuls schnell wieder. Tina musste für ihn tabu sein. Genauso tabu, wie Julie selber!
Jetzt hörte er Tina wieder sprechen. Sie sagte, dass sie zur Polizei gehen wollte. Also wusste auch sie, dass etwas überhaupt nicht in Ordnung war. Aber wie viel wusste sie wirklich? Eugeñio überlegte, hörte in sich hinein. Vielleicht war es wirklich das Beste, die Polizei einzuschalten? Aber ob sie sie finden würde? Er bezweifelte es. Kurz dachte er auch daran, dass suchende Polizisten auch für ihn eine Gefahr darstellen konnten. Zumal dann, wenn Tina erzählte, dass er Julies Liebhaber wäre. Denn, er wusste es, genau das dachte sie!
Dann würde die Polizei sich wohl etwas zu intensiv mit ihm beschäftigen. Zwar würde er sich zu schützen wissen, kein
Weitere Kostenlose Bücher