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Herr der zwei Welten

Herr der zwei Welten

Titel: Herr der zwei Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Meyer
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ihren letzten Atemzug getan hatte, ließ er sie langsam zu Boden gleiten. Der Vampir wusste: Ihr Herz musste noch schlagen, während er trank. Verpasste er diesen Zeitpunkt, würde es ihm schlecht bekommen. Es gab Zeiten, in denen er noch voller Angst gewesen war, diesen Zeitpunkt zu spät zu erkennen. Damals hatten sich seine begierigen Lippen zumeist viel zu früh von seinen Opfern getrennt. Aber das war lange her. Jetzt wusste er genau, ganz instinktiv, wie weit er gehen durfte. Jetzt konnte er jeden Augenblick des Sterbens genießen. Jeden Tropfen ihres kostbaren Blutes in sich aufnehmen.
    Wie ein Gourmet leckte er sich den Rest ihres Blutes von den Lippen. Er war gesättigt; jedenfalls fürs Erste.
    Er ließ die Leiche einfach liegen. Sollten sich doch die Polizisten um sie kümmern! Er hatte Wichtigeres vor! Seine Gedanken kehrten zu Julie zurück. Nur einen Moment lang machte sich Unbehagen in ihm breit. Was würde sie sagen, wenn sie ihn gerade gesehen hätte? Aber so war er, er konnte nichts daran ändern. Das war schließlich der Grund, weshalb er alles daran setzte, ihr aus dem Weg zu gehen. Doch nun war sie in Gefahr – und das allein zählte! Zumindest konnte er sich nun Julie nähern, ohne sie in Gefahr zu bringen. Jetzt, so gesättigt wie er war, brauchte er seinen Blutdurst nicht zu fürchten. Jetzt würde er ihr nichts tun. Aber wo war sie? Er schloss die Augen, konzentrierte sich. Wenn er tief in sich hinein lauschte, konnte er ihre Stimme hören. Ähnlich einem leisen Signal; das aber viel zu weit weg war. Das wunderte ihn. Eigentlich war diese Welt für ihn viel zu klein. Er konnte sich diese Ferne nicht erklären. Eugeñio beschloss zurück nach Deutschland zu gehen. Dort wollte er im Riverboot nach ihr suchen. Doch er wusste, dass er sie dort nicht finden würde. Das Tanzlokal war viel zu nah; auch wenn es für jeden Sterblichen eine enorm große Entfernung darstellte, hätte er ihre Stimme viel lauter vernommen, wäre sie dort.
    Aber er hoffte, dass er dort ihre Signale, oder was immer es war das er spürte, deutlicher empfangen konnte. Dieses Gebäude hing voll von Erinnerungen an das Mädchen, das er liebte. Er würde sogar noch ihren Duft in den Wänden wahrnehmen können, wenn sie über Jahre nicht mehr dort gewesen wäre. In was für einer Gefahr Julie auch immer schwebte, er musste ihr helfen! Er spürte, dass die Zeit knapp war, deshalb beschloss er etwas zu tun, das er lange Zeit nicht mehr getan hatte. Heute würde er kein Verkehrsmittel der Menschen benutzen. Heute würde er fliegen! Er hasste das Gefühl, keinen Boden mehr unter den Füßen zu spüren. Auf kürzere Instanz oder wenn die Zeit großzügiger bemessen war, genügte es, wenn er lief. Seine Füße waren deutlich schneller, als die Kraftfahrzeuge der Neuzeit. Durch die Lüfte zu reisen, nur mit seinem eigenen Körper, war einfach wider aller Natur! Auch als Vampir hatte er sich das Gefühl für das Natürliche bewahrt. Dennoch -heute Nacht würde er es tun. Es bedurfte nur einer kurzen Konzentrationsübung- schon befand sich sein Körper auf der Reise durch die Luftschichten der Atmosphäre. Seine Geschwindigkeit war viel zu schnell, als dass ihn ein Sterblicher hätte orten können. Ganz gleich, welches neumodische Instrument er auch benutzte. Der Vampir war um so viel schneller als der Wind. Niemand würde ihm dadurch auf die Schliche kommen. Er war sicher.
    *
    Wenige Minuten brauchte er, dann war die Entfernung Spanien-Deutschland überbrückt. Was bedeuteten schon zweitausend Kilometer? Es war ein Nichts für den alten Vampir!
    Eugeñio stand vor der Tür des Tanzlokales. Einen Moment lang überlegte er, ob er das Riverboot wirklich betreten sollte. Dann öffnete er die Tür. Aah! Es war herrlich wieder hier zu sein. Hier konnte er Julie nahe sein. Ihre Aura schwebte über diesen Räumen, als könne er sie greifen. Aber es war lange her, jedenfalls für menschliche Maßstäbe, dass sie wirklich hier gewesen war. Aber schon die Erinnerung, gepaart mit ihrem Duft, den er noch deutlich ausmachen konnte, genügte, und er sah sie vor sich! Der Spanier sah sich um, als wäre er ein Mensch, der sich einen kurzen Überblick verschaffen wollte. Sein Blick fiel auf ein Pärchen, das am Tresen saß. Auch ihre Blicke suchten die Tanzfläche ab. Eugeñio kannte sie. Die Frau war Julies Schwester. Sie hieß Martina. Der Mann neben ihr war ihr Ehemann, Julies Schwager. Er hatte beide schon zweimal gesehen. Jetzt hatte die Frau ihn

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