Herr der zwei Welten
Jagd nicht mehr dasselbe! Nur noch dann, wenn sein Körper nach dem Blut der Menschen schrie, war er auf die Jagd gegangen. Aber kein einziges Mal hatte er das Töten noch genießen können. Jedes Mal hatte er danach ein fades Gefühl verspürt, das alle Lust einfach wegspülte. Wie sehr diese Frau ihn doch verändert hatte! Eugeñio seufzte.
Ich komme mir bald selbst vor, als wäre ich ein Mensch!
Doch kurz nach dem er sich bei diesem Gedanken erwischte, schalt er sich einen Narren. Er wusste ja nicht einmal mehr, wie sich ein Mensch fühlte! Wie auch! Es war schließlich 360 Jahre her, seit er selbst einer gewesen war. Sich noch daran zu erinnern, wie er damals fühlte, war eher unwahrscheinlich.
Tina und Detlef waren gegangen. Er stand allein am Tresen des Tanzlokals und die vielen Gedanken besetzten sein Hirn. Sämtliche Gedanken, genauso wie die Gefühle, die in ihm fraßen, waren völlig fremdartig für einen wie ihn. Aber jetzt hatte er genug gegrübelt! Der spanische Vampir entschloss sich, heute noch einmal auf die Jagd zu gehen. Nicht weil er hoffte, dass ihn die Jagd ablenken könne, nein das würde sie sicher nicht. Aber er wusste, dass er keinen Hunger mehr verspüren durfte. Denn das würde ihn ablenken davon, was er tun musste. Er musste stark sein, er musste vermutlich gegen Kräfte antreten, die nicht die der Sterblichen waren. Er ahnte, dass es keinen andern Grund, für die Entfernung von Julie, gab, als den, dass hier etwas am Werken war, das nicht von den Menschen kam. Dazu brauchte er alle Energie, alle Kraft, die sein unmenschlicher Geist aufbringen konnte.
*
In der Welt, in der sich Julie nun aufhielt, wurde es gerade hell. Die Zeit lief hier anders. In der Welt, die sie kannten, hätte man die Zeit auch ohne Uhr berechnen können. Schon anhand des Sonnenaufganges. Doch hier war alles anderes. Hier gab es keinen allmählichen Sonnenaufgang. Die grelle, gelbe Sonne erhellte die Höhle binnen Sekunden. Verwirrt blinzelte Julie in das helle Licht. Sie hatte tatsächlich ein wenig geschlafen, wie lange wusste sie nicht, aber nun war sie buchstäblich aus dem Schlaf gerissen worden. Das trotzdem noch abrupt zunehmende Licht schmerzte in den Augen. Julie schlug die Hände vors Gesicht, um so wenigstens etwas ihre Augen zu schonen. Es dauerte Minuten, ehe sie in der Lage war, ihre Augen wieder zu öffnen. Enttäuscht sah sie sich um.
„Wir sind also immer noch hier.“ sprach Pieter aus, was Julie, und wohl auch die anderen dachten. „Oh Mann, wie sehr ich doch gehofft hatte, dass das alles nur ein verrückter Traum ist! Na ja, kann man wohl nichts machen! – Was fangen wir also an?- Ich denke, das Wichtigste ist erst einmal, wir versuchen etwas Essbares und Wasser zu finden. Hier wird uns wohl niemand ein deftiges Frühstück servieren.“
Julie sah erstaunt zu dem Mann hinüber, dem sie gestern, oder war es heute, noch ein Haus verkaufen wollte. Wie konnte er nur so ruhig sein?!
Doch dann fiel ihr ein, dass Pieter Priest viele Jahre lang Soldat gewesen war. Vermutlich kam seine innere Ruhe jetzt genau davon.
„Hier wird sich wohl nichts finden lassen. Also lasst uns nach draußen gehen!“
Auffordernd streckte er seine Hand nach seiner Frau und seiner kleinen Tochter aus. Steff rieb sich noch den Schlaf aus den Augen. Wie hatte das Kind es nur geschafft, diese grelle Helligkeit nicht zu sehen? Doch die Kleine war wirklich erst vor ein paar Minuten erwacht, und nichts an ihr ließ darauf schließen, dass hier etwas ganz und gar nicht richtig war!
„Na, was ist nun? Will mich vielleicht jemand begleiten?“ fragte Pieter nun, als er merkte, dass ihm niemand so einfach folgen wollte.
Eigentlich hatte Pieter sogar mit noch mehr Gegenwehr gerechnet. Aber nun folgten ihm doch alle hinaus, aus dieser Höhle, die doch gestern noch sein Traumhaus gewesen war. Doch Pieter wusste, wollte er seinen Verstand nicht ganz verlieren, musste er alles nur im Hier und Jetzt betrachten. Es war wie in der Army; man lebte jeden Augenblick. Nur so konnte man einen Krieg überstehen! Als sie sich einige Meter von der Höhle entfernt hatten, wurde Pieter allerdings noch viel mehr an die Army und an Vietnam erinnert. Obwohl er sich selber sagte, dass er ja niemals wirklich in Vietnam gewesen war, stellte er es sich genauso vor. Eine Art dichter Dschungel empfing sie hier und nahm sie in seine gierigen Fänge. Pieter schluckte schwer. Er musste sich zusammennehmen, um nun nicht stehen zu bleiben, weil er
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