Herr der zwei Welten
Gargamel!“ konnte Kai sich nicht verkneifen zu sagen.
Doch das brachte ihm nur einen wütenden Blick des blauen Männchens und einen Tadel seines Vaters ein. Julie schluckte die Worte, die ihr auf der Zunge lagen, schnell wieder runter. Stattdessen hörte sie eine gemurmelte Entschuldigung von Kai. Julie blickte wieder auf das Männchen. Teils verärgert, teils ängstlich schienen die dunklen, runden Augen die Menschen zu mustern. Julie registrierte das eigentümliche Haar des Wesens, das die Farbe reifen Weizens hatte und ihm weit über die Kniekehlen reichte. Es war ein Wunder, dass er nicht dauernd darüber stolperte.
Es war still geworden, registrierte Julie. Unbeweglich musterten ihre Leute das Männchen, und genauso still warf dieses die Blicke zurück. Nur Kai, der sich vermutlich in die Welt seiner Romane versetzt fühlte, konnte dieses Schweigen nicht lange ertragen.
Er beugte sich zu dem kleinen Wesen hinunter und schien kurz zu überlegen, wie er es ansprechen sollte.
Doch schließlich sagte er einfach:
„Guten Tag. Du kannst mich doch verstehen? Wir hier sind Menschen. Was bist du?“
Die hellen Augenbrauen des Zwerges wanderten erstaunt in die Höhe. Diese Bewegung in seinem ansonsten starren Gesicht verlieh ihm das Aussehen eines Bilderbuchteufels. Plötzlich ließ er ein lautes Gelächter erklingen. Diese durchdringende Lautstärke hätte ihm, aufgrund seiner Größe, niemand zugetraut. Kai zuckte erschrocken zurück.
„Ob ich euch verstehe?“ prustete der Zwerg los. „Na hab ich euch denn nicht gerade selber angesprochen? In eurer ganz eigenen Sprache? He! Du sagst, dass ihr Menschen seid?! Dass ich nicht lache! Wo wollt ihr denn euer Zuhause haben? Jedenfalls nicht hier! – Nicht im Blauen Land! Aber ihr seht auch nicht aus, als würdet ihr aus dem Grünen oder Gelben Land kommen. – Nein, nein, das könnt ihr vergessen! Die kenne ich alle. Habe sie alle schon mal gesehen! Ihr seht aber nicht so aus.“
Der Zwerg lachte jetzt wieder. Diesmal allerdings nicht so laut. Sein Lachen klang auch irgendwie freundlicher.
Vermutlich war es diese scheinbare Freundlichkeit, die Liz spontan sagen lies:
„Aber wir sind Menschen! Unsere Heimat liegt in Tennessee! Ähm.. Deutschland.“
Sie drehte sich zu ihrem Mann und warf ihm einen kurzen Blick zu. Vermutlich hatte sie ihren Umzug nach Deutschland völlig vergessen; jetzt entschuldigte sie sich dafür.
Was für ein Wunder , dachte Julie.
„Vielleicht hättest du lieber sagen sollen, dass wir von der Erde kommen.“ sagte Kai, an seine Stiefmutter gewandt.
Doch dieser Satz steigerte Julies Angst wieder ins Grenzenlose. Die Erde.. wie weit lag sie eigentlich entfernt?
Der Zwerg stand steif vor ihnen und beobachtete noch immer jede einzelne ihrer Bewegungen intensiv. Seine Iris schien weniger beweglich zu sein, was den Eindruck starren Beobachtens noch verstärkte. Liz spürte wieder diesen unangenehmen Kloß in ihrer Kehle, der ihre Angst verriet. Hilfe suchend blickte sie zu Julie; doch ihr erging es um keinen Deut besser. Auch in ihren Augen stand die Angst. Ihre Hände, die sie zu Fäusten verkrampft hielt, zitterten, und auf ihrer Stirn standen kleine, runde Schweißperlen.
Doch dann unterbrach der Zwerg diese ängstliche Stille.
„Also, wer seid ihr nun? Schließlich seid ihr hier die Gäste! Also darf ich ja wohl mal fragen! Ich bin hier zuhause. Das sieht man ja wohl. Oder braucht ihr vielleicht noch andere Beweise?“
Er deutete gewichtig auf sein blaues Gesicht. Offensichtlich meinte er seine blaue Hautfarbe. Das Blaue Land, hatte er gesagt. Sollte das etwa heißen, sie sollten erklären, dass sie vom weißen Land kamen? Lächerlich! Aber ließ ihre Hautfarbe nicht genau darauf schließen? Na ja, nicht alle würden demnach aus dem weißen Land kommen, dachte Julie und blickte zu Liz. Sie würde dann eher aus dem braunen Land kommen. Julie hätte beinahe gelacht, aber die Situation war eigentlich nicht lächerlich, eher tragisch, deshalb unterließ Julie das lieber.
Bernhard, Pieter und Kai nickten beinahe synchron. Julie, die alle drei im Blickfeld hatte, wurde dabei an einen Knabenchor erinnert.
Du solltest das wirklich sein lassen. Plötzlich in solch einer Umgebung zu sein, und nicht zu wissen, wie man hier wieder wegkommt, ist wirklich nicht lustig. Tadelte sie sich in Gedanken selber.
Trotzdem konnte sie sich ein Grinsen kaum noch verbieten. Der Zwerg sah sie tadelnd an. Dann blickte er die anderen an, einen nach dem
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