Herr der zwei Welten
Seine Beine bewegten sich jetzt immer langsamer. Es war ganz offensichtlich, dass er dieses mörderische Rennen verlieren würde. Was dann geschah, konnte man sich leicht ausmalen. Julie versuchte Liz festzuhalten, die immer wieder zu ihrem Mann wollte. Aber sie hätte sich nur selbst in Gefahr gebracht. Was sollten sie denn gegen dieses Ding machen? Dervit stellte sich vor sie.
„Sieh zu das sie hierbleibt!“ sagte er und schaute Pieter weiter zu. Er tat nichts. Pieters Stimme drang als leises Röcheln zu ihnen herüber. Die Luft ging ihm aus. Jetzt erst bewegte Dervit sich. Er hopste aufgeregt hoch und runter und fuchtelte schreiend mit beiden Armen in der Luft herum. Er wollte die Aufmerksamkeit der Masse auf sich lenken. Aber diese zeigte sich ungerührt und verfolgte weiterhin Pieter in immer kürzer werdenden Abständen. Sie wollte Pieter; und nur ihn! Von Dervits Aufstand zeigte sie sich völlig unbeeindruckt. Pieter hetzte noch immer vorbei an kleineren Pflanzen und Feldsteinen. Er hatte keine Kraft mehr. Beinahe sah es so aus, als wenn er gegen eine der großen, nach Vanille duftenden Pflanzen rennen würde. Julie hielt erschrocken den Atem an; sofern sie vorher überhaupt noch geatmet hatte. Sie sah schon, wie diese dicke eklige Masse Pieter überrollte. Er wäre tot. Das war klar. In allerletzter Sekunde hatte Pieter es geschafft sich an den fleischigen, großen Blättern der Vanillepflanze vorbei zu drücken. Noch einmal versuchte er, sein Tempo zu steigern. Aber er schaffte es nicht mehr. Immer langsamer und schwerer wurden seine Schritte.
„Macht doch was!“ schrie Julie verzweifelt. Liz weinte in ihren Armen. Warum waren die anderen Blauen noch nicht hier? Sie mussten doch gemerkt haben, dass etwas nicht stimmte. Warum kamen sie nicht, um zu helfen? Dervits Versuche die Masse von Pieter abzulenken hatten noch immer keinen Erfolg! Nur wenn die anderen endlich kommen würden, hätten sie gemeinsam vielleicht eine echte Chance. Julie konnte nichts machen; sie brauchte all ihre Kraft um Liz daran zu hindern, zu ihrem Mann zu rennen und sich damit wieder selbst in Gefahr zu bringen. Julie merkte gar nicht das auch sie zitterte. Sie hatte Angst um Pieter. Aber auch um sich selbst und die Freunde. Was, wenn sie Pieter erst einmal getötet hatte, würde sie sich damit zufriedengeben? Oder würde sie sich danach ein anderes Opfer suchen? Julies Herz schlug so laut, dass es sogar in ihren eigenen Ohren wie Trommelschläge klang. In diesem Moment rutschte Pieter aus. Vermutlich war er auf einen der kleinen, runden Steine getreten. Julie hatte schon selbst erlebt, wie leicht man auf diesen rollenden Dingern das Gleichgewicht verlieren konnte. Diesmal konnte Pieter sich nicht mehr fangen. Er hatte versucht die Vanillepflanze in kurzem Bogen zu umgehen, aber der Bogen war zu kurz gewesen. Die kleinen Steine taten ihr Übriges. Das war sein Fehler gewesen. Der Länge nach schlug er hin. Liz schrie laut auf. Die Angst um ihren Mann verlieh ihr Bärenkräfte. Sie schüttelte Julies Arme ab und rannte zu ihm. Liz schrie wie von Sinnen. Sie wedelte mit ihren Armen und versuchte, genau wie Dervit es noch immer tat, die Masse von Pieter abzulenken. Pieter bemerkte davon nichts. Er war sich sicher, er sah seinem Tod ins Gesicht! Diese eklige Masse war nicht einmal mehr zwei Meter entfernt und sie rollte näher. Er schaffte es nicht mehr, sich zu erheben. Seine Lungen schmerzten und die Luft in ihnen war längst aufgebraucht. Er hatte seine Arme hilflos über seinen Kopf geschlagen und blieb einfach liegen. Liz verharrte plötzlich mitten im Schritt. Ihre Augen waren weit aufgerissen, sie zitterte nicht, sie atmete nicht einmal mehr. Auch Dervit hatte es aufgegeben, die Masse auf sich lenken zu wollen. Pieter erwartete seinen Tod. Das Geräusch der näher kommenden Masse donnerte in seinen Ohren. Blobb! Blobb! Blobb!
Es war wie feuchter Gummi, den man lang zog und dann zurückschnellen ließ. Eklige, glitschige Töne, die den Tod brachten. Nur noch wenige Zentimeter trennte Pieter von seinem Mörder. Nur noch die Vanillepflanze stand zwischen ihnen. Pieter starrte durch seine Arme auf die Masse. Oh Gott! Was für ein Wesen! Das Ding quoll regelrecht um die Pflanze herum. Pieter schloss die Augen. Das war sein Tod! Doch plötzlich war es still. Pieters Hände waren verkrampft, hielten Sand und Steine fest. Er lauschte, erwartete seinen Tod. Doch nichts geschah. Die Masse bewegte sich nicht mehr. Was geschah da? Ein
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