Herr der zwei Welten
Eichen und auch ein Ahorn war zu sehen. Und da! Da standen zwei Rosensträucher. Ihre Blüten rot und rosa und so groß! Insekten schwirrten durch die Luft. Julie erkannte in ihnen Schmetterlinge, die in der Sonne tanzten. Bienen machten sich an den Rosenblüten zu schaffen. Und die vielen Mücken! Noch nie war Julie so glücklich gewesen, Mücken zu sehen. Kai hockte am Boden und streichelte hingebungsvoll das feuchte Gras. Er lachte. Bernhard blickte sich um und seine Augen leuchteten feucht.
„So sieht also eure Welt aus?“ fragte Simonja. Sie war zu Julie getreten und hatte ihre Hand ergriffen. Julie erwiderte lachend den Händedruck.
„Oh Simonja, es ist so schön! Jetzt zeige ich euch meine Welt!“
Julie bückte sich, ohne Simonjas Hand loszulassen. Sie wollte ihrer Freundin eine der kleinen Wildblumen schenken, die im hohen Gras wuchsen. Plötzlich erfüllte ein leiser Angstschrei die Luft, gefolgt von einem Wimmern und Stöhnen. Erschrocken zog Julie ihre Hand zurück. Hatten wirklich die Blumen geschrien?
„Oh Julie, es tut mir so schrecklich leid! Hier, das ist nicht eure Welt. – Es ist nur das Gelbe Land. Nicht dein Zuhause. Es tut mir so leid.“
Julie spürte, wie Simonja ihre Hand streichelte. Sie blickte ihre Freundin kurz an und erkannte Tränen in ihren Augen. Verstört wanderte ihr Blick wieder zurück. Dann nickte sie tapfer. Ihr Blick hing starr an den Blumen, die sie gerade pflücken wollte. Dann schluckte sie ihre Enttäuschung tapfer hinunter.
„Ist schon gut.“ flüsterte sie. „Es ist nur, es sieht hier wirklich genauso aus, wie bei uns. - Schade! Aber kommt schon, es ist nicht so tragisch. Karon hat nicht mehr viel Zeit, also lasst uns machen, dass wir weiter kommen!“
Bernhard und Kai, die die Trage beim Anblick ihrer Welt im Gras gestellt hatten, nahmen sie stumm wieder auf. Julie sah, wie Kai Bernhard einen enttäuschten Blick zuwarf. Was war nur los? Irritiert schüttelte sie den Kopf. Hatte Bernhard es wirklich geschafft Kai rumzukriegen, fragte sie sich. Dass Bernhard schwul war, hatten sie wohl alle bereits gewusst, oder wenigstens geahnt. Aber Kai? Er war doch nicht schwul! War es etwa ihre Schuld, dass er sich nun doch Männern zuwandte? Hatte er sich in die Arme des älteren Mannes geflüchtet, weil sie ihn hatte abblitzen lassen? Julie wischte den Gedanken energisch beiseite. Noch stand nichts fest! Es war nichts geschehen, dass sie einfach so auf so etwas schließen durfte!
Die Gruppe hatte sich wieder in Bewegung gesetzt und Julie hatte Mühe, mitzuhalten. Aber es stimmte, Karon hatte keine Zeit zu verlieren!
Obwohl es nicht die Erde war, nicht ihr zuhause, konnte auch Julie nicht verhindern, dass es ihr besser ging. Vielleicht war die frische, nach Wiesen duftende Luft schuld daran, oder auch nur die erdähnliche Umgebung. Ohne es zu wollen, ging Julie der Schrei der Blumen nicht aus dem Sinn. Die Pflanzen hier verspürten augenscheinlich Angst und Schmerz. Erging es den Pflanzen in ihrer Welt vielleicht sogar genauso? Konnten die Menschen ihre Schreie nur nicht hören? Julie schauderte, als sie sich das vorstellte.
Einige Zeit waren sie gelaufen, als es zu dämmern begann. Auch die Dämmerung war wie auf der Erde! Sie waren an einen kleinen Teich gelangt. Das Wasser glänzte ruhig, beinahe majestätisch. Dervit schlug vor, hier eine kleine Ruhepause einzulegen. Sie waren alle erschöpft und es hatte keinen Sinn so stur weiter zu machen. Irgendwann würde ihre Erschöpfung sie daran hindern, auch nur einen einzigen Schritt weiter zu gehen. Dies würde niemandem helfen, am allerwenigsten Karon, der auf ihre Hilfe angewiesen war.
Das Wasser schmeckte köstlich. Ein paar kleine Fische tummelten sich im Teich. Sie waren in allen Regenbogenfarben gefärbt. Fasziniert beobachtete Julie das Spiel der Fische.
„Als wäre man mitten in einem Märchen gelandet. So friedlich und wunderschön ist es hier.“ sagte sie. Das feuchte Gras, das den Teich einbettete, verstärkte diesen Eindruck noch. Das Seltsamste aber war, dass sie total erschöpft hier angekommen waren und sie sich schon nach der kurzen Zeit, in der sie im Gelben Land waren, wieder ausgeruht und gesund fühlten. So hatte Julie sich seit Tagen nicht mehr gefühlt. Es war, als wären all die Strapazen nichts weiter als ein böser Traum gewesen. So, als hätte sie Tage nur geschlafen. Deshalb brauchten sie auch nicht lange und sie konnten sich wieder auf den Weg machen. Nur schade, dass dieses Wunder der
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