Herr des Chaos
Ruin entgegensteuerte, und Lelaine hatte nichts Besseres zu tun, als sie zu fragen, ob sie ihr Haar schneiden werde! Sie hatte die Schwarzen Ajah verfolgt, war in Gefangenschaft gekommen und wieder entflohen, hatte ihrerseits eine der Verlorenen gefangen, na ja gut, das wußte natürlich keine von ihnen, hatte der Panarchin von Tarabon wenigstens vorübergehend wieder zu ihrem Thron verholfen, und nun war alles, was sie hier tat, herumzusitzen und gelegentlich ein Lob einzustreichen für Dinge, die sie aus Moghedien herausgeholt hatten. Ihr Haar schneiden? Da konnte sie sich ja gleich eine Glatze schneiden lassen! Damit würde sie auch nicht mehr erreichen.
Sie erblickte Dagdara Finchey, wie sie durch die Menge schritt, so breit gebaut wie die kräftigsten Männer unter den Passanten und höher aufragend als die meisten, und der Anblick der Gelben mit dem runden Gesicht regte sie ebenfalls auf. Ein Grund dafür, daß sie sich entschlossen hatte, in Salidar zu bleiben, war der, sich von den Gelben unterrichten zu lassen, denn sie verstanden mehr von der Heilkunst als jede andere. Das behauptete jedenfalls jeder. Aber falls eine von ihnen mehr wußte als sie jetzt bereits, dann teilte sie dieses Wissen nicht mit einer bloßen Aufgenommenen. Die Gelben sollten an sich ihrem Wunsch, alles und jeden zu heilen, sogar diejenigen, die einer Dämpfung unterzogen worden waren, am verständnisvollsten gegenüberstehen, aber sie waren die letzten, die Bereitschaft zeigten, ihr zu helfen. Dagdara hätte sie den ganzen Tag lang Böden schrubben lassen, um ihr diese »törichten Ideen« aus dem Kopf zu treiben, wenn Sheriam nicht eingegriffen hätte, während Nisao Dachen, eine unauffällige Gelbe mit Augen, die so hart dreinblickten, daß man mit ihnen Nägel einschlagen konnte, sich sogar weigerte, mit Nynaeve zu sprechen, solange diese darauf bestand, »die Webart des bestehenden Musters zu ändern«.
Und um dem allen die Krone aufzusetzen, sagte ihr Wettergefühl ganz einwandfrei aus, daß sich seit einer Weile ein Sturm nähere, obwohl der wolkenlose Himmel und die brennende Sonne sie verspotteten.
So knurrte sie in sich hinein, stellte den Tonkrug einfach hinten auf einen vorbeirumpelnden Karren und machte sich auf den Weg durch die Menge. Sie konnte nichts weiter tun, als in Bewegung zu bleiben und geschäftig zu wirken, bis Moghedien fertig war, und das Licht mochte wissen, wie lange das noch dauern werde. Ein vollkommen vergeudeter Vormittag, passend zu den vielen Tagen, die sie hier schon vergeudet hatte.
Viele der Aes Sedai lächelten sie an oder nickten ihr zu, aber sie lächelte dann entschuldigend zurück und beschleunigte ihren Schritt für kurze Zeit, damit es aussah, als habe sie es eilig, und so vermied sie es, angehalten zu werden und die üblichen Fragen über sich ergehen lassen zu müssen, welche neuen Dinge man in nächster Zeit von ihr erwarten könne. In ihrer augenblicklichen Laune hätte sie ihnen vielleicht ehrlich gesagt, was sie dachte, und das hätte unangenehme Folgen nach sich gezogen. Nichtstun. Sie fragen, was Rand unternehmen werde. Ihr sagen, sie solle sich ihr Haar abschneiden. Pah!
Natürlich lächelten nicht alle. Nicht nur, daß Nisao einfach durch Nynaeve hindurchblickte, nein, Nynaeve mußte schnell aus dem Weg springen, um nicht von der Frau überrannt zu werden. Und eine arrogante Aes Sedai mit hellblondem Haar und einem hervorstehenden Kinn, die auf einem großrahmigen Fuchswallach durch die Menge ritt, warf ihr im Vorbeireiten einen ausgesprochen finsteren Blick aus scharfen blauen Augen zu. Nynaeve erkannte sie nicht. Die Frau wirkte wie aus dem Ei gepellt in einem hellgrauen, seidenen Reitkleid, aber der leichte Leinenumhang vor ihr auf dem Sattel sprach dafür, daß sie gerade von einer Reise neu hier eingetroffen war. Was noch für ihre Neuankunfft in Salidar sprach, war der schlacksige Behüter in grünem Wams, der auf einem großen, grauen Streitroß hinter ihr herritt und recht nervös wirkte. Behüter wirkten niemals nervös, aber Nynaeve dachte sich, es müsse wohl als Ausnahme gelten, wenn man sich soeben einer Rebellion gegen die Weiße Burg anschloß. Licht! Selbst Neuankömmlinge kamen gerade zurecht, um sie noch mehr aufzubringen!
Und dann tauchte noch der narbengesichtige Uno auf, den Kopf bis auf die Skalplocke kahlgeschoren und die leere Augenhöhle von einer Klappe verdeckt, auf die ein scheußliches, knallrotes Auge aufgemalt war. Er hielt in seiner
Weitere Kostenlose Bücher