Herr des Chaos
und Juilin erkennen es. Sie sagen nichts, aber ich bin mir sicher. Sie sehen mich nicht auf die gleiche Weise an wie andere Menschen. Wenn ich sagte, ich würde einen Glasberg erklimmen und mit bloßen Händen einen Riesen töten wollen, würden sie mich nur fragen, ob ich unterwegs Hilfe brauchte, und nicht erwarten, daß dem so wäre.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Elayne zögernd, und Birgitte seufzte und ließ den Kopf hängen.
»Ich weiß nicht, ob ich dem gerecht werden kann. In anderen Leben tat ich, was ich tun mußte, was richtig zu sein schien, was für Maerion oder Joana oder jede andere Frau genügte. Jetzt bin ich Birgitte aus den Geschichten. Jedermann, der das weiß, wird Erwartungen haben. Ich fühle mich wie ein Federtänzer, der in eine Geheimversammlung der Tovan gerät.«
Elayne fragte nicht nach. Wenn Birgitte Dinge aus früheren Leben erwähnte, waren Erklärungen meist verwirrender als Unwissenheit. »Das ist Unsinn«, erwiderte sie bestimmt und umfaßte die Arme der anderen Frau. »Ich weiß es, und ich erwarte sicherlich nicht von Euch, daß Ihr irgendwelche Riesen tötet. Egwene auch nicht. Und sie weiß es ebenfalls.«
»Solange ich es nicht eingestehe«, murmelte Birgitte, »ist es, als wüßte sie es nicht. Macht Euch nicht die Mühe, mir zu sagen, daß es Unsinn ist. Ich weiß, daß es das ist, aber das ändert nichts.«
»Was ist dann damit? Sie ist die Amyrlin, und ihr seid eine Behüterin. Sie verdient Euer Vertrauen, Birgitte. Sie braucht es.«
»Seid Ihr immer noch nicht mit ihr fertig?« fragte Areina aus einem Schritt Entfernung. »Wenn Ihr schon fortgeht und mich zurücklaßt, könntet Ihr mir wenigstens beim Bogenschießen helfen, wie Ihr es gesagt habt.«
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte Birgitte ruhig zu Elayne. Dann wandte sie sich zu Areina um und ergriff weit oben ihren Zopf. »Wir werden über das Bogenschießen sprechen«, sagte sie, während sie Areina zur Straße schob, »aber zunächst werden wir über Manieren sprechen.«
Elayne schüttelte den Kopf, erinnerte sich plötzlich Aviendhas und eilte davon. Das Haus war nicht weit entfernt.
Sie brauchte einen Moment, um Aviendha wiederzuerkennen. Elayne war ihren Anblick im Cadin'sor gewöhnt, das dunkle, rötliche Haar kurz geschnitten, und nicht in Rock und Bluse und Stola, das Haar bis über die Schultern gewachsen und mit einem gefalteten Tuch nach hinten genommen. Sie schien zumindest auf den ersten Blick nicht in Schwierigkeiten zu sein. Sie saß eher unbeholfen auf einem Stuhl -Aiel waren nicht an Stühle gewöhnt - und schien mit fünf Schwestern in einem Kreis im Wohnraum sitzend gemütlich Tee zu trinken. Häuser, die Aes Sedai schützten, besaßen Wohnräume, obwohl Elayne und Nynaeve noch immer in ihrem beengten kleinen Raum hausten. Auf den zweiten Blick sah man jedoch, daß Aviendha die Aes Sedai über den Rand ihrer Teetasse hinweg gehetzt ansah. Für einen dritten Blick blieb keine Zeit. Aviendha sprang beim Eintreten Elaynes auf und ließ ihre Tasse auf den sauber gefegten Boden fallen. Elayne hatte außer im Stein von Tear erst wenige Aiel gesehen, aber sie wußte, daß sie ihre Empfindungen verbargen, was Aviendha normalerweise auch ausgezeichnet gelang. Nur jetzt war blanke Qual auf ihrem Gesicht erkennbar.
»Es tut mir leid«, sagte Elayne an den ganzen Raum gewandt, »aber ich muß sie Euch eine Weile entführen. Vielleicht könnt Ihr später mit ihr sprechen.«
Mehrere der Schwestern hielten nur mühsam ihren Widerspruch zurück, obwohl es keinen hätte geben sollen. Sie war, bis auf Aviendha, eindeutig bei weitem die Stärkste in diesem Raum, und keine der Aes Sedai war eine Sitzende oder gehörte zu Sheriams Konzil. Sie war sehr froh, daß Myrelle nicht anwesend war, die in diesem Haus lebte. Elayne hatte die Grüne Ajah erwählt und war angenommen worden, ohne zu wissen, daß Myrelle das Oberhaupt der Grünen Ajah in Salidar war. Myrelle, die noch keine fünfzehn Jahre Aes Sedai war. Aus Gesprächen wußte Elayne, daß es in Salidar Grüne gab, welche die Stola schon mindestens fünfzig Jahre lang trugen, obwohl keine davon ein graues Haar besaß. Wäre Myrelle hiergewesen, hätte Elaynes ganze Kraft nichts gezählt, wenn das Oberhaupt ihrer Ajah Aviendha hätte hierbehalten wollen. Aber jetzt öffnete nur Shana, eine glotzäugige Weiße, die Elayne an einen Fisch erinnerte, den Mund ein Stück weiter, schloß ihn aber dann wieder, wenn auch eher störrisch, als Elayne sie mit
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