Herr des Lichts
daß alle Teile zu einem unregelmäßigen und unscheinbaren Ganzen zusammenkommen müssen. Nein. Die Himmlische Stadt entsprang den Wünschen ihrer ersten Bewohner, entstand planvoll. Alle Bedürfnisse wurden sorgfältig erwogen und jeder Zoll Herrlichkeit von den ersten Planern und den Design-Maschinen auskalkuliert. Die Pläne wurden dann koordiniert und durch einen architektonischen Künstler ohnegleichen ausgeführt. Wischnu, der Erhalter, hatte die gesamte Himmlische Stadt im Kopf. Dann kam der Tag, an dem er auf dem Rücken des Garuda-Vogels die Meilenspitze umkreiste und in die Tiefe blickte. Ein Schweißtropfen hing an seiner Stirn, und das, was Plan gewesen war, wurde zur vollendeten Wirklichkeit der Stadt.
So wurde der Himmel aus dem Geist eines Gottes geboren; wurde der Plan des Himmels zuvor durch Wischnus göttliche Gefährten und ihre Wünsche angeregt. Willkürlich, ohne Notwendigkeit wurde die Stadt am zeitlosen Pol der Welt in einer Wildnis aus Eis, Schnee und Felsen angesiedelt, wo nur die Mächtigen ein Zuhause finden können.
(Auf was machte sie Jagd?)
Unter der Himmelskuppel, neben der Himmlischen Stadt lag der große Wald von Kaniburrha. Wischnu hatte in seiner Weisheit erkannt, daß zwischen Metropolis und Wildnis ein Gleichgewicht hergestellt werden muß. Während es Wildnis ohne Städte geben kann, benötigt ein Bewohner der Stadt zu seinem Wohlbefinden mehr als nur Zuchtpflanzen. Wenn die ganze Welt eine einzige Stadt wäre, hatte Wischnu sich überlegt, würden die Einwohner einen Teil dieser Stadt in Wildnis verwandeln, denn in ihnen allen ist das, was sich nach einem Ende der Ordnung und einem Beginn des Chaos sehnt. Und so wuchs in seinem Geist ein Wald, strömten dort Ströme und strömten dort die Düfte des Werdens und Vergehens, stießen ungezähmte Lebewesen, die im Schatten des Waldes lebten, ihre Schreie aus; und der Wald schüttelte sich im Wind und glitzerte im Regen, stürzte nieder und wuchs wieder empor.
Die Wildnis reichte bis an den Rand der Stadt, reichte aber nicht weiter. Sie hatte sich an ihre Grenzen zu halten, so wie die Stadt sich an diese Grenzen hielt.
Aber von den Lebewesen des Waldes waren einige von räuberischer Natur; vor allem die Albinotiger akzeptierten keine Grenzen und kamen und gingen, wie sie wollten. Deshalb stand es von Götterhand geschrieben, daß die Phantomkatzen die Himmlische Stadt nicht erkennen sollten: es war ihren Augen und dem Nervensystem hinter diesen Augen eingegeben, daß keine Stadt existierte. In ihren Katzengehirnen bestand die ganze Welt aus dem Wald von Kaniburrha. Sie trotteten über die Himmelsstraßen, und es war Dschungelpfad, auf dem sie schlichen. Wenn die Götter ihnen im Vorbeigehen das Fell tätschelten, war es, als ob der Wind sie streichelte. Kletterten sie eine breite Treppe empor, war es ein Felsabhang, den sie erstiegen. Die Gebäude waren Klippen, und die Statuen waren Bäume; die Passanten waren unsichtbar.
Sollte jemand aus der Stadt aber den echten Wald betreten, bewegten sich Katze und Gott auf derselben Existenzebene die Wildnis machte alle gleich.
Sie hustete wieder, wie sie es schon so oft zuvor getan hatte, und ihr schneeweißes Fell wurde vorn Wind gebürstet. Sie war eine Phantomkatze, die seit drei Tagen durch die Wildnis von Kaniburrha gestreift war; die gerissen und das rohe rote Fleisch ihrer Beute verzehrt hatte; die mit ihrer großen Kehle ihre Katzen-Herausforderung hinausgefaucht hatte; die mit ihrer breiten rosafarbenen Zunge ihr Fell geleckt hatte; die den Regen gespürt hatte, der von den hohen, herabhängenden Farnwedeln auf ihren Rücken getropft war, so wie er zuvor in Gießbächen aus den Wolken herunter auf die Farne gefallen war; aus Wolken, die sich wie durch ein Wunder genau über dem Zentrum des Himmels vereinigten; sie war eine Phantomkatze, und sie fühlte das Feuer in ihren Lenden; in der vergangenen Nacht hatte sie sich mit einer todesfarbenen Fell-Lawine gepaart, einem Tiger, dessen Pranken ihre Schultern zerkratzt hatten - der Blutgeruch hatte sie beide in eine wilde Raserei versetzt; eine Phantomkatze war sie, und sie schnurrte, als die kühle Dämmerung sie umfing und die Monde mit sich brachte; drei Monde, die von den wechselnden Farben ihrer Sichelungen waren: golden, silbern und graubraun. Sie saß auf dem Felsen, leckte sich ihre Tatzen und fragte sich, was es gewesen war, das sie gejagt hatte.
Lakschmi lag mit Kubera, dem vierten Hüter der Welt, auf einem
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