Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
Waren diese Falten schon in ihrem Gesicht gewesen, als er erwacht war? Vielleicht sorgfältig mit einer Salbe überdeckt?
Nein. Sie ist gealtert. Wie viele Jahre habe ich ihr genommen?
»Wollt Ihr weitermachen?«, tastete sie.
Oft erholten sich Menschen von so einer Begegnung. Wenigstens körperlich. Viel Schlaf war nötig, dann konnte die Erschöpfung …
Aber sie sah sehr mitgenommen aus, und in ihren Augen erkannte er die dunkle Sucht, die in ihr Herz gekrochen war. Sie würde für den Rest ihres Lebens danach streben, die Erfahrung zu wiederholen, die sie gerade gemacht hatte. Dadurch würde es ein sehr kurzes Leben werden. Noch drei oder vier Begegnungen wie diese, und sie würde sich nicht mehr regenerieren können. Erfahrene Osadroi beherrschten sich, schonten ihre Opfer. Dadurch konnten sie sich Jahre, manchmal Jahrzehnte von ihnen nähren. Diese Menschen wurden Sklaven der Sehnsucht nach ihren Schattenherren, hündisch ergeben, ohne Interessen jenseits des einen – ihr Leben für ihren Meister zu geben.
Bren wandte sich ab. Er wusste nicht, ob er von dem abgestoßen war, was er in Quinnés bittenden Augen sah, oder von sich selbst. Vielleicht sollte er sie töten, jetzt und hier. Das wäre schnell, sauber. Sie würde die Bewegung noch nicht einmal sehen, wenn er ihr Genick bräche. Und wenn sie ohnehin stürbe, könnte er vorher vielleicht noch einmal …
»Geh!«, rief er. »Verschwinde!«
Sie fand einen schwankenden Stand. Wie eine Schlafwandlerin beugte sie sich nach ihrem Schleiergewand.
Bren hatte gerade seine Hose aufgenommen, als ein Dunkelrufer in den Raum hastete und sich zu Boden warf, ohne die nackte Frau oder Brens entblößten Unterleib zu beachten. Bren musste kurz nachdenken, bis er darauf kam, woher er den Mann kannte. Ohne wetterfeste Kleidung wirkte er deutlich schmächtiger.
»Dunkelrufer Attego. Was willst du von mir?«
»Ich begebe mich ganz in Eure Gnade und bitte um eine angemessene Bestrafung.«
»Wofür?«
Neben ihm stieg Quinné in das Kleid und zog es mit trägen Bewegungen über ihren Körper. Bren roch ihren Schweiß und die Flüssigkeit an ihrer Scham. Er riss die Gedanken davon los und konzentrierte sich auf den Mann, der vor ein paar Nächten behauptet hatte, er habe Verständnis für den Schmerz, den die Erinnerung an die vergangene Menschlichkeit hervorrief. Wusste er auch, was es bedeutete, zu entdecken, zu was für einem Monstrum man in den Schatten wurde?
»Ich wollte Euch große Freude bereiten, Baronet, und jetzt werde ich Euch betrüben!«
»Sprich endlich!« Er wollte an etwas anderes denken als an Quinné, die es nach nichts stärker verlangte als danach, ihm ihr Leben zu opfern.
»Wie Ihr befehlt, Herr. Eure Kiretta lebt!« Die letzten Worte schrie er, als würden sie ihm von einem Foltermeister entrissen.
»Was sagst du?«, rief Bren.
»Sie hat Lisannes Angriff überlebt. Die Schattenherzogin kümmerte sich nicht weiter um sie, nachdem sie ihr den Haken genommen hatte. Sie wäre verblutet, aber wir fanden sie und brachten sie zu einer Heilerin.«
Quinné hatte wohl nicht zugehört. Sie schwelgte noch in ihrer Nähe zu Bren, drückte ihren warmen, weichen Körper an seine Seite und küsste seinen Hals.
Er stieß sie auf das Bett, was sie klaglos geschehen ließ. Hastig stieg er in seine Hose.
»Bring mich zu ihr! Sofort!«
Attego sah ihn an. Seine Unterlippe zitterte. »Die Heilerin ist verschwunden, und Kiretta mit ihr. Der Ghoulmeister hat ihre Spur am Südtor gefunden. Danach verliert sie sich.«
Bren griff seinen Morgenstern. »Es gibt nicht viele Orte, die als Ziele infrage kommen, und die dunkelsten Stunden der Nacht liegen noch vor uns. Wir brechen sofort auf!«
N ACHTSTURM
» D u scheinst dich für Türpfosten zu interessieren, Oma.« Ungrann benutzte diese Anrede zu häufig, ein Fehler, den viele machten, die das erste Mal abtauchten. Er war etwas jünger als Keliator und so hatte Nalaji beschlossen, dass es am unauffälligsten sei, wenn der Gardist sie wie ein Enkel behandelte, der seine Großmutter und seine schwachsinnige Schwester nach Süden begleitete.
Die stumpf vor sich hin stierende Geisteskranke, das war Kiretta. Viermal täglich drehte Nalaji Pillen für sie, damit sie in diesem Zustand blieb. Sie konnte sich gerade noch mit ihrer verbliebenen Hand am Sattel festhalten, der ihr den Ritt auf dem Esel ermöglichte. Stumpfsinnige waren häufig anzutreffen in Ondrien, die Rituale des Kults erschufen sie gleich
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