Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
Großmutter!«
Sie nahm ihm die Zügel des Esels ab. »Wir brauchen Geduld. Es ist nicht sicher, wann das nächste Zeichen kommt. Sieh dich einfach ein wenig um.«
»Ist es immer in Holz geschnitzt?«
»Meistens. Manchmal auch auf Stein gemalt. Halt nach den drei Schwanzfedern Ausschau, die sind das Auffälligste.«
Wenn sein Gebaren auch alles andere als das eines Meisterspions war, so musste Nalaji ihm doch lassen, dass er in schneller Folge drei weitere Sonnenvögel ausmachte und sie so zu einem Hufschmied führte.
»Dieser hier hat fünf Schwanzfedern«, stellte er fest und meinte damit die Schnitzerei an einem Trog vor dem Haus.
»Dann haben wir unser Ziel erreicht.« Nalaji betätigte den Klopfer, einen kleinen Hammer, der gegen eine Metallplatte schlug.
Sie hörte Schritte. »Wer da?«, rief eine tiefe Stimme durch die geschlossene Tür.
»Drei müde Reisende auf der Suche nach Obdach. Deine Tante schickt uns, sie ist sicher, du wirst uns für eine Nacht aufnehmen.«
Nur ein Spalt öffnete sich. »Woher kommt ihr und was ist euer Begehr?«
Nalaji runzelte die Stirn. Der Vogel diente als Erkennungszeichen für den Hausbesitzer, ›drei‹, ›müde‹ und ›Nacht‹ waren die entscheidenden Worte, um den Besucher auszuweisen. Eigentlich hätte das reichen sollen.
»In Wetograd finden wir nicht leicht Freunde«, sagte Nalaji.
»Ihr seid nur zu dritt?«
»Wenn du unser treues Tier mitzählen willst, sind wir vier. Es braucht aber nur ein wenig Heu, uns dagegen hungert nach etwas Warmem.«
»Der Kerl soll einen Schritt zur Seite machen, damit ich ihn sehen kann.«
Ungrann gehorchte.
Endlich schob der Mann die Tür auf. In der Linken hielt er ein Stemmeisen, das er jetzt an die Wand lehnte.
»Sehr vorsichtig«, lobte Nalaji, als sie eintrat. »Hast du kürzlich schlechte Erfahrungen gemacht?«
»Ich nicht«, murmelte der Mann, während er misstrauisch nach draußen spähte, wo Ungrann Kiretta aus dem Sattel half. »Aber jemand anderes.«
Nalaji wartete, bis Kiretta im Haus war. Ungrann führte noch den Esel zum Stall. Der Schmied schloss die Tür.
»Ich bin Herst«, stellte er sich vor. »Ihr seid …?«
»Du kannst mich Ajina nennen«, sagte Nalaji. Diesen Namen wollte sie verwenden. In Orgait kannte ihn niemand, aber sie würde immer auf ihn reagieren, denn er hatte der besten Freundin ihrer Jugendtage gehört.
»Und sie?« Er musterte Kiretta.
»Unwichtig.«
»Haben die Schatten sie so zugerichtet?«
Nalaji zuckte mit den Schultern. »Sagen wir, sie begleitet uns nicht ganz freiwillig.«
»Eine Gefangene? Oder Geisel?«
»Möglich.«
»Ich soll nicht zu viel wissen. Schon gut.«
Nalaji hoffte, dass er in dem schwachen Licht, das aus dem nächsten Raum in den kurzen Gang und die sich rechts öffnende Schmiede schien, ihr entschuldigendes Lächeln erkennen könnte. »Es würde dir nicht helfen. Aber dennoch muss ich dich meinerseits um dein Wissen bitten. Kennst du einen Weg in den Süden, der direkter und nicht so offensichtlich ist wie die Heerstraße nach Zorwogrod?«
»Es gibt Pfade durch die Wildnis, sicherlich, aber nichts für eine alte Frau.«
»Ich bin zäh.«
Er rieb sich den Hinterkopf, eine seltsam hilflose Geste bei einem so kräftigen Mann. Dabei sah er zum Lichtschein.
»Wir sind nicht die Ersten, die bei dir Zuflucht suchen, oder, Herst? Ist da drin derjenige, von dem du sagtest, er habe schlechte Erfahrungen mit den Schatten gemacht?«
»Glaubt mir, das habe auch ich. Alle drei Kinder haben sie uns genommen, eines das Schwarze Heer, eines die Garde und das Letzte der Kult. Das war am härtesten, als sie Alandr dieses Flackern in die Augen gesät und ihn am Ende doch erdrosselt haben.«
Sie legte ihm eine Hand auf die massige Schulter. »Wir haben alle unseren Grund.«
Herst schluckte und sah erneut in Richtung des Raumes. »Der da drin auch. Jetzt mehr denn je. Erstaunlich, dass er es bis zu uns …«
Ein dreimaliges Klopfen kündigte Ungrann an. Herst ließ ihn ein und wies ihm in der vom Dämmerlicht des Tages spärlich erhellten Schmiede einen Platz für das Gepäck an. Nalaji würde ihn bitten, das Kettenhemd besser einzuwickeln, es klirrte, als er es absetzte.
Küche und Schlafzimmer bildeten einen einzigen Raum. Der Herd stand an der Wand zur Schmiede. Eine dralle Frau von etwa fünfzig Jahren mühte sich mit einigen Binden ab, die sie durch einen Bottich mit heißem Wasser zog und wohl verwenden wollte, um die Wunden auszuwaschen, die im Körper des
Weitere Kostenlose Bücher