Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
Rum, entkorkte sie, während er sich setzte, und nahm einen tiefen Schluck. »Ich nehme an, Ihr wollt nichts?« Halbherzig hielt er ihr den Trunk hin.
Sie winkte ab.
»Wir fahren nach Osten. Zu den Feinden unserer Feinde.«
»Und die sind im Osten?«, zweifelte Nalaji. »Da endet die Welt. Oder wollt Ihr den Bug nach Südosten wenden, zu den Landen, die vom Seelennebel frei sind?« Dort gab es einige Enklaven von Festland. Wie die Inseln waren auch sie Handelspartner für die Küstenstädte.
»Nein. Wir fahren nach Ejabon.«
»Davon habe ich noch nie gehört.«
»Färbt man bei Euch keine Stoffe? Ejabon ist eine kleine Insel. Von dort kommt guter Alaun.«
Fragend sah sie ihn an.
»Ejabon.« Seine gelben Augen weiteten sich, als wolle er sie damit verschlingen. »Ejabon-vor-dem-Nebel.« Er hielt seinen Hut fest, als er den Kopf in den Nacken legte, um noch einen Schluck zu nehmen.
»Ejabon-vor-dem-…« Nalaji sprang auf, wurde aber durch das Schwanken des Schiffs wieder in den Sitz geworfen. »Das kann nicht Euer Ernst sein! Es sind die Feinde der Götter! Auch die Feinde Eurer Göttin!«
»Eher Rebellen als Feinde.« Noch ein Schluck. »Manchmal löschen zwei Wellen, die aufeinander zulaufen, einander aus.«
»Ihr sprecht vom Seelennebel!«
»Von den uralten Geistern der Fayé, die darin gefangen sind.«
»Da mache ich nicht mit! Diese Fayé wurden von den Göttern zurückgewiesen! Sie sind verflucht!«
»Na gut!«, brüllte Jicke heftig. »Dann halten wir unser Gewissen rein und lassen die Welt in die Schatten fallen!«
Nalaji presste die Hände um die Lehnen des Sessels. Ihre Zähne knirschten.
Jicke verweigerte ihr den Gefallen, weiterzusprechen. Stattdessen nahm er ab und zu einen Schluck, behielt sie aber im Auge.
»Wie sollen sie uns nützen?«
Er erklärte es ihr. Und trank weiter. Als die Flasche leer war, entkorkte er eine zweite.
Nalaji fühlte sich allein wie selten zuvor. Narron fehlte ihr so sehr! Sie hoffte, dass Jicke ihre Tränen im Dämmerlicht der Kajüte nicht sah. Was hätte Narron ihr geraten? Er hatte dafür gelebt, die Heimat zu schützen und einen Weg zu finden, den Schatten zu schaden. Jetzt, da die Fayé den Nachtschattenwald verließen, bot sich eine einmalige Gelegenheit.
Würde Nalaji damit leben können, wenn sie nicht geholfen hätte, einen weiteren Stein in die Waagschale gegen Ondrien zu legen?
Was, wenn das Schwarze Heer nach Süden vorrückte, Ilyjia verwüstete? Keine noch so überwältigende Übermacht könnte Keliator davon abhalten, sich Ondriens Kriegern entgegenzustellen. Er hatte gesehen, was sie unterworfenen Menschen antaten.
Nalajis Herz fühlte sich an, als dränge ein Schwert hindurch, als sie sich vorstellte, wie jemand Keliators toten Leib auf ihren Schoß bettete.
Nicht mein Sohn. Nicht auch noch mein Sohn …
»Gibt es wirklich keinen anderen Weg? Die Götter werden uns zürnen.«
»Vielleicht müssen wir damit leben, dass sie uns zürnen, wenn das die einzige Möglichkeit ist, ihren Willen zu tun. Wer soll ihnen Gaben darbringen, wenn ihre Tempel geschleift werden? Wer soll ihr Lob singen, wenn die Kleriker des Kults die Seelen brechen?«
»Sind wir denn sicher, dass es ihr Wille ist?«
»Unser Ritual?« Er zuckte mit den Schultern. »Nein. Nichts ist gewiss in dieser seltsamen Zeit. Aber dass die Schattenherren eine Blasphemie sind, dass die Welt den Menschen versprochen wurde und nicht den Magiern, die sich Unsterblichkeit anmaßen, das steht in allen heiligen Schriften.«
»Ich habe mit dem Wind nichts zu schaffen«, murmelte Nalaji so schwach, dass Jicke sie bat, ihre Worte zu wiederholen.
»Nicht mit dem Wind, aber mit dem Schutz. Ihr seid eine unserer erfahrensten Priesterinnen, und die einzige der Mondmutter dazu. Wenn Ihr uns schützt, können sich mehr Trommler um den Sturm kümmern.«
Nalaji wusste, dass Untätigkeit oft die größte Sünde war. Und dass sie Keliator schützen musste, auch wenn er tausend Meilen entfernt war.
Niemand war von Brens Ankunft in Zorwogrod überrascht. Attego hatte ihm berichtet, dass Kundschafter sie tagsüber in der Kate aufgespürt hatten, die offenbar einem Köhler gehörte, der sie aber verlassen hatte. Ihr Keller hatte Bren vor den quälenden Sonnenstrahlen geschützt.
Sie passierten drei Wachkreise, bevor sie am Nordosttor ankamen. Das Heer hatte mit Zelten und behelfsmäßigen Hütten seine eigene Stadt geschaffen, deren Grundfläche viel größer war als Widajas Regierungssitz.
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