Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
strauchelte, aber jeder Schmuck fehlte. Da es normalerweise keine Beleuchtung gab, standen hier auch keine Kunstwerke, die besonderen Schattenfall erzeugten. Gerade deswegen faszinierten Bren die dunklen Zacken, die die Steinzähne durch die Höhle warfen. An ihre Wände hatten die Altvorderen mit Kohle und roter Eisenfarbe ihre Bilder gemalt. Sie zeigten Tiere, deren Geister sie beschworen haben mochten, aber auch Abdrücke von Händen oder Gesichtern und, unleugbar, Schatten. Oft waren sie dunkle Wolken, die sich über an Pfähle gefesselte Gestalten legten.
Heute waren die Riten des Kults ausgefeilter.
Die Seelenbrecher stellten Kerzen auf, deren Licht die Fayé beschien, die mit Ketten an den Fels gebunden waren. Bren machte sich nicht die Mühe, sie zu zählen. Da Lisanne sie alle beansprucht hatte, würden es einhundertsiebzehn sein. Der einzige Fayé, der in Karat-Dor die Sonne aufgehen sähe, wäre derjenige, den Bren bei Guardaja selbst gefangen genommen hatte. Das damalige Versprechen schützte sein Leben. Allerdings auch nicht mehr als das. Lisanne hatte vorgeschlagen, ihn so lange zu foltern, bis er selbst um den Tod bitten und die Schatten so von ihren Versprechen entbinden würde. Jittara arbeitete gerade aus, wie sich dies am besten umsetzen ließe.
Lisanne trug heute ein weit fallendes Gewand. Vielleicht lag es an der Höhle, dass Bren beim Anblick der schwingenden Ärmel an eine Fledermaus dachte. Nur die Elfenbeinkrone entsprach der Kleidung, die er von ihr gewohnt war.
Als sie hinter einer Felssäule hervortrat, die wie geschmolzenes Wachs aussah, fiel Attego vor ihr auf die Knie. Der Steinboden war dafür wohl schlecht geeignet, wie ein schmerzerfülltes Zischen verriet. Bren beließ es dabei, respektvoll den Kopf zu neigen.
Die Andeutung eines Lächelns bog Lisannes Lippen. »Spürt Ihr die Angst unserer Gäste?«
Bren schüttelte den Kopf. »Das ist mir nicht gegeben, Schattenherzogin.«
»Ach ja. Ich vergesse immer wieder, wie jung Ihr seid. Unser Hass ist schnell gewachsen.«
»Wenn Ihr es sagt.« Er fühlte sich unwohl bei dem Gedanken daran, dass Kirettas Haken bei Dengor war. Er hatte nicht gewagt, ihn hierher mitzubringen. Das hätte zu viel Aufmerksamkeit darauf gelenkt, und wer wusste schon, ob Lisanne hätte erspüren können, dass die Frau, die diese stählerne Gliedmaße so lange getragen hatte, noch lebte? Bren war sicher, dass sie alles täte, um Kiretta in ihre Hände zu bekommen und ihr Dinge anzutun, die sich Bren nicht vorstellen wollte. Er vermied sogar so gut wie möglich, an seine Geliebte zu denken, und hoffte, dass Attego sich ebenfalls im Griff hatte. »Ich bin hier, wie Ihr es befahlt, aber ich bezweifle, dass ich Euch auf die Weise dienlich sein kann, die Ihr mir übermitteln ließt.«
»Sorgt Euch nicht. Ich weiß, was ich tue. Ihr seid genau der Richtige. In die Schatten getreten, aber stark verbunden mit der Welt des Greifbaren.«
Bren hoffte, dass er nicht zusammenzuckte. Bezog sich diese Bemerkung lediglich auf seine Jugend, oder wusste Lisanne etwas?
Sie fuhr ohne Unterbrechung fort. »Lasst die Magie meine Sorge sein. Die Pfade der Finsternis sind mir wohlbekannt.« Sie streckte den Arm aus und öffnete in einer perfekten Abfolge die Finger mit den glänzenden Krallen, als entfalte sich eine Blüte im Sternenlicht. »Vertraut mir einfach.«
»Wie könnte ich das nicht?« Er legte seine Hand in ihre und ließ sich tiefer in die Höhle führen.
Bren fand die Züge der Fayé, an denen sie vorüberkamen, undeutbar. Vor jedem von ihnen war nun eine Kerze aufgestellt, deren Schein die fremden Gesichter beleuchtete, die am Kinn so schmal und an der Stirn so breit waren. Die kleinen Münder standen bei manchen ein Stück offen, bei anderen waren die Lippen so fest zusammengepresst, dass sie nur mehr zu erahnen waren. Bei einem Menschen gaben die Augen am zuverlässigsten Auskunft über seine Stimmung, bei einem Fayé waren sie verschlossene Tore zu Geheimnissen, die kein Mensch erfassen konnte. Die farbigen Nebel in ihnen bewegten sich unablässig, boten dem forschenden Blick keinen Halt.
»Dies ist Euer Platz.« Lisanne zeigte auf einen Thron, der zwischen zwei Stalagmiten verkeilt war. Er wäre durchaus einem Baron angemessen gewesen, war aber kein Vergleich zu demjenigen, auf dem sich Lisanne mit einer fließenden Bewegung niederließ. Dieser hätte drei Herrschern von der Statur der Schattenherzogin Platz geboten, und seine Rückenlehne war so ausladend,
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