Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
als schlüge ein Pfau von der Größe eines Schattenrosses ein Rad aus schwarzen Federn. In den Bögen oben an der Lehne waren Essenzkristalle eingelassen, die silbern schimmerten, also gut gefüllt waren. Zudem stand Lisannes Thron zwei Schritt höher als Brens.
»Wie gesagt weiß ich nicht, ob ich …«, begann Bren, als er sich setzte.
»Ihr wisst kaum etwas, Bren Stonner«, unterbrach ihn Lisanne, als würde sie einem Kind zum dutzendsten Mal erklären, dass die Sonne jeden Abend unterging. »Eure Aufgabe besteht darin, die Verbindung zwischen mir und der greifbaren Welt zu halten. Ich werde Euch benutzen. Lasst es einfach geschehen.«
Bren presste die Zähne zusammen, erwiderte aber nichts. Vielleicht würde es ein wenig von Lisannes Zorn nehmen, wenn er sich fügte. An diesen Fayé war ihm nichts gelegen, also konnte das Ritual ruhig so ablaufen, wie Lisanne es wünschte. Nur in seinem Verstand würde er sie nicht herumschnüffeln lassen. Sie durfte nichts von Kiretta … Nein! Nicht daran denken!
Um sich abzulenken, beobachtete Bren die Kleriker. Attego dirigierte die dreizehn Seelenbrecher an ihre Positionen zwischen den Gefesselten. Der Jüngste hatte wohl erst kürzlich begonnen, sich die Wangen zu schaben, wie frische Schnitte verrieten. Der Rücken der Ältesten war krumm wie der einer verärgerten Katze. Sie stützte sich auf einen knorrigen Stock. Alle waren nervös, Bren sah die bebenden Lippen und die zitternden Hände, als sie mit Asche aus den Knochen Unschuldiger Zauberzeichen auf die hohen Fayéstirnen malten.
Ein Kribbeln strich über Brens Arm, so deutlich, dass er mit der Hand darüberwischte. Er fand nichts als Luft, aber das Gefühl einer Berührung war deutlich gewesen. Er sah zu Lisanne auf. In der Tat hatte sie mit ihrem Ritual begonnen, die Augen geschlossen, den Rücken durchgedrückt, als sei ihre Wirbelsäule ein Stoßdegen. So führte sie die Arme an den Seiten nach oben. Bren kam nicht umhin, die Wölbung ihrer Brüste unter der Robe zu bewundern. Seine Aufmerksamkeit wurde jedoch schnell auf die Hände gelenkt, die Blitze aus elementarer Finsternis auf sich zogen. Sie knisterten aus der Tiefe der Höhle, schlugen in die Krallen, legten sich als Schwärze über die Hände. Lisanne lächelte, dann stimmte sie einen Gesang an, dessen Worte nicht der Sprache der Menschen entstammten.
Wieder spürte Bren das Kribbeln, diesmal auf seiner Brust. Er schlug dagegen, traf aber nur sich selbst. Das Gefühl, auf seiner Haut tanzten hundert kleine Beine, ließ sich dadurch nicht verscheuchen. Seufzend lehnte er sich in seinem Thron zurück.
Er sollte die Verbindung zur Welt des Greifbaren halten. Wenn Lisanne also astrale Sphären mit geschlossenen Augen durchschwebte, würde er die seinen wohl besser offen halten. Die Kleriker hatten für den Moment ihre Aufgabe erledigt. Sie warteten ab. Aus der Decke fiel ein Tropfen auf eine Kerze, die zischte und flackerte, aber nicht verlosch. Die Fayé standen größtenteils unbewegt, nur eine Handvoll kämpfte gegen die Fesseln an. Noch immer war dieses Kribbeln auf Brens Haut. Stärker sogar, an mehreren Stellen. Es wanderte über seinen Rücken, über die Schenkel, den Nacken, sogar unter den Füßen spürte er es.
Erst meinte er, seine Sinne spielten ihm einen Streich, als er glaubte, in Lisannes fremden Worten einen Ruf zu erkennen, der in die Finsternis hinaus hallte. Er galt nicht ihm, Bren, aber er zog etwas aus der Tiefe einer anderen Wirklichkeit empor. Doch Bren hatte nicht die Ausbildung, um solcherlei erspüren zu können. Deswegen wollte er seine Vermutung schon als Hirngespinst abtun, als er die Bewegung im Boden sah. In der Höhle gab es keinen Humus, sie bestand aus nacktem Fels, der sich nun an vielen Stellen wellte wie die Oberfläche eines Sees, über den ein sanfter Wind strich. Doch anders als bei einem Windhauch versiegte die Bewegung nicht, wo sie einmal begonnen hatte. Im Gegenteil wurde das Kräuseln stärker. Kleine Steine brachen aus dem Fels und zitterten wie auf dem Fell einer geschlagenen Trommel.
Dann brachen Löcher auf, gerade groß genug, um einen Finger hineinzustecken. Oder groß genug für ein Insekt, um herauszukrabbeln. Und so kamen sie, folgten Lisannes Ruf, zu Hunderten, zu Tausenden.
Ameisen. Rote, schwarze, grüne.
Hornissen mit feuerroten Köpfen, die die Luft sogleich mit dem Surren ihrer Flügel erfüllten.
Mehlwürmer – die größten, die Bren je gesehen hatte –, die Hinterleiber
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