Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
gedacht, was sie besonders gefürchtet hatten, schmeckte die Angst, den Zorn.
Lisanne sprach auf einer gewissen Ebene mit ihm, Bren auf einer anderen. Während die Schattenherzogin den Verstand betörte, war Bren das Tor für den Instinkt der Bestie, der durch ihn die Höhle wahrnahm, das Geschehen betrachtete.
Lisanne folgte der Aufmerksamkeit des Wesens, das sie gerufen hatte, und schien überrascht, Bren bei Bewusstsein zu finden. Hatte sie ihn unterschätzt?
Ja, so musste es sein! Sie musste ihn für schwächer gehalten haben. Jetzt betrachtete sie ihn neugierig.
Das durfte nicht geschehen! Sie durfte ihn nicht erforschen, nicht seine Geheimnisse lernen! Nichts von Kiretta erfahren! Mit aller Kraft, die sein Geist aufbringen konnte, stieß er sie zurück. Dabei drang er ein Stück weit in sie ein, in ihre Kommunikation mit der Wesenheit. Sie schlug ihr eine Ameise vor, die Form einer der roten Sorte, deren Kopf mit den gewaltigen Zangen ebenso groß war wie der restliche Körper. Lisanne säuselte von der kriegerischen Qualität dieser Form, sandte Visionen von besiegten Feinden, Menschenheeren, deren zerrissene Leiber im Schlamm lagen. Truppen aus neuen Chaque, größer als jene, die es in Tamiod gegeben hatte, zertraten sie voller Befriedigung.
Die Wesenheit zog Lisannes Vorschlag in Erwägung, nutzte Brens Sinne, um ihn zu prüfen.
Und wählte gemeinsam mit Bren eine andere Lösung.
Wildes Rauschen erfüllte die Höhle, als sich die Insekten zurückzogen, wie sie gekommen waren. Tausendfach schabten ihre Panzer aneinander, als sie sich an den Löchern im Boden drängten. Zurück blieb das Stöhnen jener gemarterten Fayé, denen nicht die Schädel gebrochen worden waren.
Lisanne erhob sich. Neben ihrem Thron gab es keine gültige Wirklichkeit mehr. Formloses Chaos wallte, wo zuvor die Höhle gewesen war. Es hatte keine Tiefe, und doch war es endlos, es hatte keine Farbe, und dennoch schillerte es in allen Tönen von Rot. Die Kleriker wichen zurück. Bren, der spürte, dass weder Lisanne noch die Wesenheit länger seine Dienste beanspruchten, stand auf und stellte sich neben Attego.
Knackende Geräusche kündigten die Ankunft des Wesens an. Wie Kampfschilde, die aufeinanderschlugen, knallten die Panzer der Gliedmaßen gegeneinander. Das Echo hallte durch die Höhle.
Bren war nicht sofort klar, was sich dort aus dem Chaos schob. Erst nach einem Moment erkannte er den Arm, so ungewöhnlich war seine Haltung, so monströs sein Ausmaß. Er war doppelt gewinkelt, mit dolchgroßen Dornen gespickt. Den Griff eines solchen Fangarms hätte noch nicht einmal ein ausgewachsener Keiler sprengen können.
Der zweite Arm folgte, dann der Kopf, der zur Hälfte von den seitlich sitzenden, kalten, giftgrünen Augen eingenommen wurde. Die frei schwingenden Kiefer waren beinahe so lang wie Brens Unterarm und spitz wie Degen.
Lisannes Kopf ruckte zu Bren herum. »Eine Gottesanbeterin!« Das Erstaunen in ihrer Stimme war unüberhörbar.
Bren neigte bestätigend den Kopf. »Bessere Krieger werden wir kaum finden.«
Lisanne betrachtete stumm das Wesen, wie es sich an den Hirnen gütlich tat, um sich für seine neue Welt zu stärken. Die gebogenen, spitzen Kiefer schaufelten die weiche Masse in den Mund, während die hellgrünen, kinderkopfgroßen Facettenaugen hin und her ruckten.
Das Chaos, aus dem es gekrochen war, verging.
»Das also ist die neue Königin«, murmelte Lisanne nach einer Weile. Schulterzuckend wandte sie sich Bren und Attego zu. »Dann soll es so sein. Jetzt müssen wir ihr nur noch ein Volk geben.« Fließend kam sie zu ihnen herab.
»Dunkelrufer!«, sprach sie Attego an. »Sorge dafür, dass diese Fayé überleben. Ich will keinen von ihnen verlieren. Und haltet die Zauberei dieses Ortes aufrecht, wie wir es besprochen haben.«
Noch einmal sah sie die Gottesanbeterin an.
»Oh ja, ich spüre den Hass in ihr. Wir werden hervorragende Krieger bekommen. Morgen Nacht wollen wir mit ihrer Erschaffung beginnen.«
»Wie konnte das geschehen?«
Der Leutnant wagte nicht, zu Bren aufzusehen. Stattdessen starrte er auf die insektenhaften Krieger, deren gebrochene Glieder in alle Richtungen abstanden. Aus ihren gesplitterten Exoskeletten quoll grünliches, halb flüssiges Fleisch, als sie sich in dem Bemühen bewegten, wieder auf die Beine zu kommen und ihre Waffen aufzunehmen. »Ich weiß es nicht«, gestand er.
»Welchen Befehl hast du ihnen gegeben?«
»Anzugreifen.«
Bren ruckte an den Zügeln, um
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