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Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Titel: Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Corin
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noch tun.
    Das wusste sie, bevor sie überhaupt ans Telefon ging. Worum immer es bei dem Fall ging, es war zu viel für ihn allein. Und von Oyster Bay, Long Island, aus konnte sie ihm nicht helfen. Vielleicht konnte man von hier aus die Wahl eines neuen Präsidenten beeinflussen, das war drin. Aber einen Sniper zu fassen – keine Chance. Nein, wenn sie helfen wollte, musste sie sich den Tatort und die Beweise genau ansehen. Nicht nur die eingescannte Nachricht, sondern die Nachricht selbst. Was für ein Papier hatte er benutzt? Welche Schriftart hatte er gewählt? Wie sah die Schuhschachtel aus? Welches Muster hatten die Patronenhülsen ergeben, als sie auf dem Schuldach gelandet waren? Alles konnte Hinweise darauf geben, wo der Typ zu finden war.
    Bei aller Bescheidenheit: Sie war gut in ihrem Job gewesen, sehr, sehr gut. Wo andere an Zufälle glaubten, hatte sie Muster entdeckt, und Muster führten einen immer zum Täter. Tom Piper konnte andere durchschauen, selbst übers Telefon. Und sie erkannte eben Muster. Und dann füllte sie einfach nur noch die Leerstellen aus (daher ihre Begeisterung für Sudoku). Selbst die Anarchie des Wahnsinns konnte vorausgesagt werden, wenn man die richtigen Hinweise hatte. Alle Taten standen in einem Zusammenhang.
    Sie wusste, dass es eine zweite Schuhschachtel geben musste, eine in Amarillo. Das passte ins Muster. Nun musste sie nur noch herausfinden, was sich in ihr befunden hatte …
    Sie starrte auf ihr Handy. Tom wartete auf ihren Rückruf.
    Er zählte auf sie.
    Genauso wie Rafe und Sophie.

5. KAPITEL
    Amarillo hielt genauso wie Atlanta einen Gedenkgottesdienst zu Ehren aller Opfer ab. Es wurde viel darüber diskutiert, wo der Gottesdienst abgehalten werden sollte. Der Großraum Amarillo rühmte sich seiner eintausend Kirchen, und fast jede von ihnen riss sich um die Gelegenheit, diese Gedenkfeier auszurichten. Bürgermeisterin Deidre Lumley bestand jedoch darauf, dass der Gottesdienst überkonfessionell war (auch wenn vielen von Amarillos bekannteren Geistlichen ein Platz auf dem Podium versprochen wurde).
    Die Gedenkfeier in Atlanta wurde in dem viertausendfünfhundert Plätze umfassenden Fox Theater abgehalten, und kein einziger Platz blieb leer. Zwar gab es in Amarillo auch das Dick-Bivins-Stadion mit fünfzehntausend Plätzen, doch Bürgermeisterin Lumley wollte nicht, dass a) die Tragödie mit Sport in Zusammenhang gebracht wurde, und rechnete b) nicht damit, dass fünfzehntausend Leute kommen würden. All die leeren Plätze würden sich im nationalen Fernsehen nicht gut machen. Nach vielen Beratungen, jeder Menge Kaffee und einer vereinbarten Gegenleistung der örtlichen Zeitung entschieden Bürgermeister Lumley und ihre Mitarbeiter sich für das Globe-News-Center. Es war relativ neu, bot über tausend Gästen bequem Platz und war außerordentlich medienfreundlich (benannt war es nach der örtlichen Zeitung, der „Amarillo Globe-News“).
    Als Tom Piper ungefähr eine Stunde vor der Gedenkfeier im Center ankam, hatten sich bereits fünftausend Menschen auf dem Parkplatz versammelt. Die Polizei tat ihr Bestes, um den Verkehr zu regeln, doch wer später kam, musste umdrehen, seinen Wagen drei oder vier Meilen entfernt abstellen und zu Fuß zurückmarschieren. Kinder und Alte stiegen vorher aus, und nach einer weiteren halben Stunde hatten sich über sechstausend Menschen versammelt.
    Manche trugen Kerzen. Manche Plakate, auf denen mit Hand die Namen der Opfer geschrieben waren. Alle trugen Trauer – in ihrem Herzen, in ihren Augen. Die Stadt war angegriffen worden. Ein Dämon hatte sie niedergestreckt. Sechs ihrer Helden waren gestorben bei dem Versuch, sie zu beschützen. Und es war noch nicht zu Ende. Der Dämon war noch immer auf freiem Fuß.
    Er konnte sich sogar irgendwo zwischen den sechstausend Trauergästen verstecken.
    Tom Piper betrachtete die Männer und Frauen. Trotz seiner angeblichen Fähigkeit, Gedanken zu lesen – was er persönlich ziemlich albern fand –, war es äußerst unwahrscheinlich, dass ihm bei einer derart großen Menschenmenge etwas Außergewöhnliches auffiel. Trotzdem hatte er seine Teilnahme an der Trauerfeier genau damit begründet.
    Die Wahrheit war viel simpler und altmodischer. Er war hier aus Pflichtgefühl. Er schloss seinen Helm und die Motorradhose an seiner Harley an, strich die Lederjacke an seinen schmalen Schultern glatt und trat in die Menge. Am liebsten wäre er anonym geblieben, doch das wäre der leichtere Weg gewesen.

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