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Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Titel: Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Corin
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Zwanzig Menschen waren tot. Er hatte den leichteren Weg noch nicht verdient.
    Er zeigte seine Marke.
    Die Fragen kamen fast sofort.
    „Haben Sie irgendwelche Hinweise?“ „Wer könnte so etwas tun?“ „Was tun Sie, um zu verhindern, dass so etwas noch einmal geschieht?“ „Wie konnten Sie zulassen, dass so was überhaupt geschah?“
    Die Fragen stürzten auf ihn ein, taten weh. Er spürte jede einzelne. Trotz allem führte seine Dienstmarke dazu, dass man ihn, freundlich gesinnt oder nicht, vorbeigehen ließ. Stumm bahnte er sich den Weg zu dem roten Sandsteingebäude, zeigte seine Marke den Cops am Eingang und trat ein. Im Saal fielen Tom gleich die vier verschiedenen Gruppen auf. Die Familienangehörigen, meist aus Amarillos unterer Mittelschicht, trugen schwarzen Polyester. Sie kannten sich und sprachen miteinander. Tom bemerkte die genetischen Ähnlichkeiten – die Riesen dort drüben mussten mit Cole verwandt sein, dem Nachtwächter, die mit der blassen Haut und den roten Haaren mit Daniel und Brian McIvey. Was die Feuerwehrmänner betraf, da variierte das Äußere zwar heftig, doch erkannte man sie leicht an ihren schwarz-goldenen Uniformen, die sie zu Ehren ihrer ums Leben gekommenen Brüder trugen. Die dritte Gruppe, kleiner als die ersten beiden, bestand aus Politikern. Hier wimmelte es von Zweitausenddollaranzügen und wöchentlichen Haarschnitten. Tom erkannte verschiedene Kongressabgeordnete und Senatoren. Die letzte und unwichtigste Gruppe waren die Journalisten. Sie saßen im hinteren Teil und hatten ihre Kameras aufgebaut. An ihren Gesichtern konnte man ablesen, dass sie in ihren winzigen Motelzimmern zu wenig Schlaf bekommen hatten, ihre Kleidung war zerknittert. Manche von ihnen besuchten Beerdigungen regelmäßig. Es war Teil ihres Jobs.
    Tom nahm in einer der hinteren Reihen Platz, bei der Presse. Immerhin hatte er mit diesen Leuten etwas gemeinsam. Auch er besuchte Beerdigungen meistens aus beruflichen Gründen.
    Die Gedenkfeier sollte in fünf Minuten beginnen.
    Sechs große Schwarz-Weiß-Fotografien hingen wie Fahnen an einer Querstange über der Bühne, als müssten die Anwesenden daran erinnert werden, warum sie hier waren. Unter den Fotografien standen acht schwarze Stühle und ein Podium mit Mikrofon. Tom fragte sich, ob Bürgermeisterin Lumley und die sieben bedeutenden Gäste (wie zum Beispiel Lieutenant Gouverneur Jed Danvers) gerade im Aufenthaltsraum herumsaßen und Käsewürfel verdrückten.
    Tom richtete seine Aufmerksamkeit auf die Fotografien.
    Cole Kingman.
    Bobby Vega.
    Lou Hopper.
    Daniel McIvey.
    Brian McIvey. Roscoe Coffey.
    Namen, die sich für immer in sein Gedächtnis gebrannt hatten.
    Und Esme hatte ihn noch nicht zurückgerufen.
    Er hatte ihr gegen 10 Uhr Eastern Standard Time die E-Mail geschickt. Jetzt war es in Amarillo beinahe 12.30 Uhr, was bedeutete, dass es in Oyster Bay fast 13.30 Uhr war. Sie hatte ihm nicht geantwortet – er hatte sein Blackberry bei sich. Warum rührte sie sich nicht? Sie wollte ihm doch bestimmt helfen, oder nicht?
    Vielleicht hatte sie sich in den vergangenen sieben Jahren viel mehr verändert, als er dachte. Vielleicht kannte er sie überhaupt nicht mehr.
    Aber schließlich hatte sie vor einigen Wochen ihn angerufen …
    Die Redner kamen auf die Bühne. Nach und nach setzten sich die Besucher. Bürgermeisterin Lumley trat ans Podium. Die Schulterpolster in ihrem dunkelblauen Hosenanzug ließen sie wie ein Transvestit aussehen.
    „Guten Tag“, begann sie – und dann hörte Tom schon weg. Er hatte die Frau am Abend zuvor in der Stadthalle kennengelernt. Sie schien zugleich ignorant und herablassend zu sein – etwas, das sie mit den meisten Politikern und schauspielernden Aktivisten teilte. Es gab sogar eine psychologische Bezeichnung dafür: den Dunning-Kruger-Effekt. Je dümmer jemand war, für umso klüger hielt er sich. Toms Vater, ein Sheriff aus Jasper, Kentucky, hatte eine passende Umschreibung für solche Typen: arrogante Flachwichser. Wie zum Beispiel: „Da ist wieder dieser arrogante Flachwichser im Fernsehen und gibt nur Scheiße von sich.“
    Tom verzog die Lippen zu einem kleinen Grinsen.
    „Special Agent Piper“, wisperte die junge asiatische Frau rechts von ihm, „was ist denn so lustig?“
    Sie war ein winzig kleines Ding mit aufgestelltem schwarz gefärbtem Haar. Zweiundzwanzig, wenn überhaupt. Ihr dunkler V-Ausschnitt-Pulli ging bis zu den Knien. Ihr rechter Nasenflügel war gepierct. Wer ist sie, fragte sich

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