Herr Lehmann: Herr Lehmann
geworden, und ein unverfönglicher, unter dem Vorwand der Entspannung, Abwechslung und Stadterkundung unternommener Ausflug an den Wannsee oder den Tegeler See oder zu einer Bootsfahrt auf dem Landwehrkanal kam nicht mehr in Frage, und sie ins Kino einzuladen, hatte Herr Lehmann einfach nicht geschafft. „Eine Kino-Einladung", hatte er seinem besten Freund Karl erklaren mössen, „ist harter Stoff, dafur ist es noch zu fruh." Karl hatte ihm immer wieder angeboten, sich immer wieder aufgedrängt, die Sache in die Hand zu nehmen und einen romantischen Abend zu organisieren, zu dritt, damit es nicht so auffiel. „Ich mach das för dich", hatte Karl gesagt, „du bist blockiert, wir brauchen alle mal Hilfe, man kann nicht immer alles alleine stemmen. Und diese Frau schon gar nicht", hatte er schulterklopfend hinzugefögt. „Kultur", hatte Karl gesagt, Kultur und Romantik, das ist das einzige, was im Herbst funktioniert", und in seiner Not hatte Herr Lehmann schließlich zugestimmt. „Ich organisier das fur dich", hatte Karl versprochen, und organisiert hatte er, das mußte man zugeben.
Zuerst waren sie auf einem reichlich fruh angesetzten Konzert von Markos und Klaus' neuer Band gewesen, denn „Musik", hatte sein bester Freund Karl gesagt, oöffnet die Herzen. So einen Freitagabend, den muß man ausnutzen", hatte er gesagt, „erst Musik, dann Kino, so soll es sein". Die Sache mit der langen Star-Wars-Filmnacht war dann wohl Katrins Idee gewesen, die Star-Wars-Filme wollte sie immer schon mal alle an einem Stuck sehen, hatte sie Karl gesagt, und daß sie Science-Fiction-Fan der ersten Stunde sei, was Herrn Lehmann um so mehr faszinierte, als es das letzte war, womit er bei ihr gerechnet hatte. Und da waren sie nun, und Luke Skywalker bekam gerade vom eigentlich toten und dennoch nicht aus der Handlung verschwindenwollenden Obi Wan eingeflustert, daß es an der Zeit war, der Macht zu vertrauen. Luke Skywalker schob daraufhin das Zielgeraöt weg und machte es auf die altmodische Art, und Herr Lehmann wußte, und er haßte sich dafur, daß er das wußte, daß das die Art war, die zum Erfolg fuhren wurde. Hauptsache Kultur, hatte Karl gesagt, der Rest geht von alleine. Auch Karl, dachte Herr Lehmann, vertraut der Macht. Katrin, die schöne Köchin, aß derweil Popcorn, als ob es nie wieder etwas zu essen geben wurde, und immerhin war er im Laufe des Abends schon einmal kurz mit ihr ins Gespröach gekommen, wenn auch nur uber die Frage, warum zum Teufel es öberhaupt salzige Popcorn gab, ein Ümstand, der Herrn Lehmann ein ewiges Rötsel bleiben wurde, was er ihr auch gesagt hatte, aber sie war anderer Meinung gewesen, und da waren sie nun.
Ich hol mal Bier", rief sein bester Freund Karl heruöber, wollt ihr auch noch?"
Klar" , rief Herr Lehmann.
„Könnt ihr mal ruhig sein", kam es von hinten. Das war Quatsch, denn öberall im Kino wurde getuschelt, gejohlt und geraschelt, außerdem stank es nach Hasch und es wurde viel und an den falschen Stellen gelacht. Sogar Hunde waren im Saal. Jetzt gerade sah Herr Lehmann einen, der ihn an den erinnerte, den er vor einigen Wochen auf dem Lausitzer Platz getroffen hatte. Genaueres konnte Herr Lehmann nicht erkennen, es war zu dunkel, und der Hund lief nur kurz einmal von links nach rechts an der Leinwand vorbei, aber er hatte die gleiche Figur wie der Hund vom Lausitzer Platz, einen wurstfoörmigen Koörper mit duönnen Beinen dran, und er bewegte sich auf eine Herrn Lehmann irgendwie vertraute Art. Herr Lehmann wußte nicht, was er davon halten sollte und blickte wieder Katrin an, die sich gerade eine Zigarette anzundete, obwohl sie den Mund noch voller Popcorn hatte. Scheiß auf den Hund, dachte er, und konzentrierte sich wieder darauf, sie anzusehen, bis er so verliebt war, daß es ihm zu viel wurde.
„Ich komm mit, ich muß sowieso aufs Klo", sagte er. Aber Karl war schon weg.
„Ist ja möchtig interessant", kam es wieder von hinten. Es war eine Frauenstimme. Wahrscheinlich eine Star-Wars-Cineastin, dachte Herr Lehmann verbittert, eine von denen, die auf keinen Fall die Dialoge verpassen wollen.
Halt die Klappe, ich will den Film sehen" , sagte er scharf, stand auf und fand dank der reichlichen Explosionen, die dem Todesstern in diesem Moment den Rest gaben, seinen Weg nach draußen.
Da wartete schon Karl am Verkaufstresen neben der Kasse. „Beck's oder Schultheiß?" fragte er und lachte sich schief uber diesen guten Witz. Er war in Hochform, er spruöhte geradezu
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