Herr Lehmann
dachte er. Aber noch biederer und noch häßlicher als das Wort Frühstück sind die Frühstücker, wollte er sich innerlich nicht beruhigen, während er dort noch immer stand und darauf wartete, daß man ihn bemerkte, was ihm langsam peinlich wurde. Auch Frühstücker sind Menschen, gab er innerlich zu, aber warum müssen sie ihr furchtbares Hobby ohne Scham in die Öffentlichkeit tragen, dachte er, ohne in seiner Rage noch Halt zu finden, sie sind wie Nudisten oder Swinger oder so, dachte er, sie heben fettige Finger, und dann sagen sie Dinge wie “Kann ich noch ein Ei haben” oder “Ich hatte noch einen Milchkaffee bestellt”, dachte Herr Lehmann, und dabei merken sie gar nicht, wie furchtbar das ist.
Ich sollte jetzt wirklich gehen, das bringt hier nichts, dachte Herr Lehmann, während er noch immer in der Nähe des Eingangs stand und nun wirklich absolut keine Lust mehr hatte, sich das noch weiter anzuschauen. Es ist auf nichts und niemanden mehr Verlaß, nicht einmal auf Kollegen und alte Freunde, dachte er, und er hatte sich schon zur Tür umgedreht und mit dem endgültigen Verlassen der Markthallenkneipe nur noch ein wenig warten müssen, weil andere Leute, die ebenfalls gerade gingen, dabei aber keinen ganzen Tisch frei gemacht hatten, wie er bedauernd feststellte, sich vorgedrängelt hatten, als er seinen Namen rufen hörte.
“Frank!”
Natürlich wußte er, daß er gemeint war, und er wußte natürlich auch, wer ihn da rief, er hatte schließlich lange genug auf diesen Ruf gewartet, aber dennoch war er versucht, ihn zu ignorieren und trotzdem zu gehen. Das würde Karl ganz recht geschehen, dachte er, obwohl, dachte er gleich wieder, das ist ungerecht, Karl kann ja nichts dafür, die Frühstücker sind schuld, dachte Herr Lehmann, obwohl er Karl natürlich sofort gesehen und sich schon darüber gewundert hatte, daß sein bester Freund Karl heute morgen überhaupt hier arbeitete, im Gegensatz zu Heidi, bei der er sich nicht gewundert hatte, weil sie fast immer morgens arbeitete, denn sie machte gerne Frühstücksschichten und war auch sonst etwas seltsam. Bei seinem Freund Karl war das etwas anderes, sein bester Freund Karl arbeitete zwar in der Markthallenkneipe, aber natürlich machte er immer nur die Spätschichten, so wie Herr Lehmann im Einfall auch, darin waren sie sich seit je einig gewesen, daß Frühstücksschichten das Dämlichste waren, was es gab. “Wir sind keine Kellner und keine Milchkaffee-Aufschäumer”, hatte sein bester Freund Karl immer gesagt, wenn sie auf das Thema Frühstücksschichten zu sprechen kamen, und das war selten genug, denn das Thema Frühstücksschichten war für sie beide überhaupt kein Thema, sie machten so etwas nicht, kein Wunder also, daß Herr Lehmann seinen besten Freund Karl sofort entdeckt hatte, denn als einer, der mit diesem ganzen Frühstückskram nie etwas zu tun gehabt hatte, fiel er hier besonders auf, er paßte hier nicht rein, nicht um diese Zeit. Außerdem war Karl, als der Riesenschrank von einem Mann, der er war, groß, breit und stark, nirgendwo zu übersehen, schon gar nicht, wenn er hinter einem Tresen stand.
Herr Lehmann drehte sich also, als sein bester Freund Karl ihn endlich bemerkt hatte und seinen Namen rief, um. Karl hatte beide Hände im Spülwasser und grinste zu ihm herüber. Dann zog er die Hände aus dem Becken und winkte mit zwei großen Biergläsern, daß es nur so spritzte. Ohne lange darüber nachzudenken, warum es um diese Tageszeit, die ja leider vor allem Frühstückszeit war, überhaupt so große Biergläser abzuwaschen gab, weil gerade für Herrn Lehmann in seinem jetzigen Zustand völlig auf der Hand lag, daß hier an einem Sonntagmorgen auch viel Apfelsaftschorle durch die Kehlen ging, ging Herr Lehmann zu ihm hin.
“Was machst du denn schon hier?” rief ihm sein bester Freund Karl ent” gegen. Das ist doch gar nicht deine Zeit.”
“Das wollte ich eigentlich dich fragen. Und was essen”, sagte Herr Lehmann.
“Dann setz dich doch irgendwo hin”, sagte sein bester Freund Karl, “ich bring dir gleich die Karte.”
“Ich weiß nicht, das ist doch Scheiße hier!”
Sein bester Freund Karl lachte. Karl ist immer gutgelaunt, dachte Herr Lehmann, das ist seltsam bei ihm, daß er immer so gutgelaunt ist. “Das nervt doch hier”, platzte es aus ihm heraus, das nervt doch, mein Gott, guck dir die Scheiße doch mal an”, und irgendwie bedauerte er es, daß er das so sagte, daß es so hart herauskam, das
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