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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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sich lieber öfter hinlegen sollte, dachte er, aber das würde er sicher als Anmaßung betrachten.
    “Die kommt gleich raus, rede du mal schön selbst mit ihr”, sagte sein bester Freund Karl, als er zurückkam, und klopfte ihm auf die Schulter. “Willst du noch ein Bier? Obwohl, wenn ich mir dich so ansehe, dann denke ich, Du solltest dich lieber noch ein bißchen hinlegen, Alter. Du siehst irgendwie angegangen aus, würde ich mal sagen.”
    Herr Lehmann wollte etwas erwidern, aber sein bester Freund Karl war schon wieder hinter dem Tresen und wusch Gläser.
    Herr Lehmann gab sich für einen Moment der Müdigkeit hin. Sein bester Freund Karl hätte das nicht sagen sollen, daß er angegangen aussah. Und Heidi schon gar nicht. So was sagt man nicht, dachte er, wenn einem einer so was sagt, dann geht es einem gleich schlecht, egal ob zu Recht oder nicht, dachte er. Und jetzt, da der Zorn auf seine Mutter und die Frühstücker und die Hunde und überhaupt das ganze Elend dieser Welt verraucht war, war er wieder furchtbar müde, zumal das erste Bier auch die Kopfschmerzen, die ihn vor allem aus dem Haus getrieben hatten, ein bißchen verscheucht hatte. Das dürre Mädchen, das ihn zuvor von seinem Platz hatte verscheuchen wollen, stellte ihm wortlos ein neues Bier hin.
    Als er diese zweite Flasche anbrach, war sie plötzlich da. Sie ließ sich ihm gegenüber auf den anderen Stuhl fallen und musterte ihn kritisch. Sie war groß, kräftig und schön. Er hatte noch den Flaschenhals im Mund, als sie ihn ansprach:
    “Ist es da nicht ein bißchen früh für?”
    Herr Lehmann setzte die Flasche ab.
    “Wofür?”
    “Beides. Bier und Schweinebraten.”
    “Find ich nicht.” Herr Lehmann wußte, daß dies ein harter Kampf werden würde, der seine ganze Konzentration erforderte. Darum nahm er seinen Blick von ihrem großen Busen und begann schon einmal, seine Argumente zu sortieren.
    “Das merke ich”, sagte sie trocken.
    “Was wofür früh ist, und was wofür spät ist”, begann Herr Lehmann eine Stegreiftheorie zu entwickeln, “ist allein Gegenstand der gesellschaftlichen Verabredung. Oder sagen wir mal so … :”, wechselte er die Richtung, um gar nicht erst auf die schiefe soziologische Bahn zu geraten, “wenn es okay ist, daß hier so Volldeppen bis 17 Uhr frühstücken, dann wird es ja wohl auch okay sein, um elf Uhr einen Schweinebraten zu bestellen.”
    “Ich würde es lieber anders herum ausdrücken”, kam es unbeeindruckt aus dem Mund der schönen Frau, die, wie Herr Lehmann jetzt bemerkte, eine richtige Arbeitskleidung trug, eine, wie man sie sonst nur von Fernsehköchen kannte, eine weiche Hose mit kleinen weißen und blauen Karos und ein weißes, langes Kittelhemd, das seltsam geknöpft und blütenrein weiß war, im Gegensatz zu dem schmutzigen Lappen, der an einer dünnen Kette um ihre vollen Hüften baumelte, was man aber jetzt, da sie saß, nur sehen konnte, wenn man genauer hinsah, was Herr Lehmann kurz einmal tat, “wenn die Welt schon mit Arschlöchern vollgestopft ist, die bis 17 Uhr frühstücken, wieso brauchen wir dann auch noch Knallchargen, die um elf Uhr schon Schweinebraten bestellen?”
    Herr Lehmann war begeistert. So hatte er noch nie eine Frau reden hören. Eigentlich wollte er überhaupt keinen Schweinebraten mehr, aber wenn sie so mit ihm sprach, hatte er natürlich keine Lust, die Sache fallenzulassen.
    “Was ist schon dabei, einen Schweinebraten zu machen?” fragte er. “Der ist doch sowieso von gestern abend, da schneidet ihr doch nur was ab, ein bißchen kalte Soße drüber und ab in die Mikrowelle, das kenne ich doch, da erzählt mir keiner was.”
    “Soso, da erzählt dir keiner was!” sagte sie unbeeindruckt und steckte sich eine Zigarette in den Mund. Kannst du mal den Aschenbecher rüberschieben?”
    Herr Lehmann schob ihr den Aschenbecher rüber.
    “Nein, da erzählt mir keiner was.”
    “Und wenn ich dir sage, daß kein Schweinebraten von gestern abend da ist? Was ist dann?”
    Herr Lehmann hätte jetzt doch gern die Unterhaltung in andere Bahnen gelenkt. Warum, dachte er, kann ich nicht mit ihr darüber reden, wie alt sie ist, wie sie heißt und was sie macht, wenn sie heute fertig ist?
    “Dann sage ich, daß es jetzt vielleicht erst Viertel nach elf ist, aber ab halb eins geht hier der normale Mittagessenscheiß los, und dann braucht ihr sowieso Schweinebraten.”
    “Und wenn ich dir sage, daß ich auch nicht von gestern bin, und daß der Schweinebraten schon

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