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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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nachfüllen.”
    “Ich habe doch gar nicht von einem Gefäß gesprochen.”
    “Das ist doch jetzt mal eben egal”, sagte Herr Lehmann. Romantisch ist das nicht, dachte er, romantisch ist was anderes. “Du hast mit Lebensinhalt angefangen. Und wenn man von Lebensinhalt spricht, dann muß man das auch zu Ende denken. So ein Wort will durchdacht sein. Was also hat die Tatsache, daß man in einer Kneipe arbeitet, mit Lebensinhalt zu tun? Das ist doch der letzte Scheiß, Lebensinhalt. Man lebt und erfreut sich dran, das reicht doch völlig.” Gleich steht sie auf und geht, dachte er, und dann habe ich’s verkackt auf lange Zeit.
    Die schöne Köchin wirkte aber nicht verärgert, eher erstaunt. “Mein Gott, wie kann man sich über ein einzelnes Wort so aufregen. Ist doch egal, ob ich Lebensinhalt sage oder was anderes, du weißt doch, was gemeint ist.”
    “Nein, weiß ich nicht. Ich weigere mich zu wissen, was gemeint ist, wenn man mir Dinge, die mein Leben betreffen, madig machen will, ohne daß man darüber nachdenkt, was man eigentlich sagt.”
    Jedenfalls ist das kein vernünftiger Beruf. Man kann doch nicht nur in einer Kneipe arbeiten.”
    “Aha!” Herr Lehmann reckte einen Zeigefinger in die Höhe und nahm ihn gleich wieder runter. Jetzt auch noch der Zeigefinger, dachte er, das wird ja immer schlimmer. “Da kommen wir der Sache schon näher. Man kann also nicht nur in einer Kneipe arbeiten. Was ist denn so schlimm daran? Wieso kann man nicht nur in einer Kneipe arbeiten?”
    “Weil das doch viel zu öde ist.”
    “Finde ich nicht.”
    “Machst du denn nicht noch was anderes?”
    “Wieso fragt einen dauernd einer, ob man noch was anderes macht?” Ich rede gar nicht mit ihr, dachte Herr Lehmann bedauernd, eigentlich rede ich mit dem Rest der Welt, und sie bekommt es ab. “Und die meisten, die ich kenne, sagen dann: Ja, ich arbeite in einer Kneipe, aber eigentlich mache ich Kunst, eigentlich mache ich Musik in einer Band, eigentlich studiere ich, eigentlich, eigentlich, und alle meinen damit, daß sie das nicht auf Dauer machen werden, daß irgendwann das richtige Ding losgeht, so wie Karl mit seinen Skulpturen und so, ich meine, nichts gegen Karl und seinen Kram da, aber was ist das für ein trauriger Umgang mit dem, was man tut, wenn man es immer nur als Zwischenlösung ansieht, als nichts Richtiges?”
    “Was für Skulpturen?”
    “Das ist doch jetzt mal egal. Das ist nicht die Frage. Die Frage ist: Warum ist das eine etwas wert, das andere aber nicht? Wenn ich jetzt sagen würde, eigentlich bin ich Künstler, dann würde doch jeder sagen: Ach so, na dann, alles klar. Aber was ist so schlimm daran, einfach nur hinterm Tresen zu stehen, und das auch noch gerne zu tun? Die ganze Stadt ist voller Kneipen, warum denn? Es gibt mehr Kneipen als Kirchen oder Galerien oder Konzerthäuser oder Clubs oder Discos oder was weiß ich was. Die Leute mögen das, sie gehen gerne in Kneipen. Es ist gut und nützlich, in einer Kneipe zu arbeiten. Es macht den Leuten genauso viel Spaß, in eine Kneipe zu gehen, wie in ein Museum oder in ein Konzert. Warum wollen dann immer alle Künstler sein oder sonstwas, aber keiner will jemand sein der nur in einer Kneipe arbeitet. Würdest du einen Künstler fragen, warum er nicht mal was anderes macht? Zum Beispiel in einer Kneipe arbeiten? Naja”, lenkte Herr Lehmann lächelnd ein, froh, eine kleine Abschwächung gefunden zu haben, tatsächlich gibt es sogar viele Künstler, die irgendwann eine Kneipe aufmachen. So gesehen habe ich doppelt recht, weil ich mir den Umweg über die Kunst gleich spare.”
    “An Kunst habe ich überhaupt nicht gedacht. Was hat denn jetzt die Kunst damit zu tun. Ich habe bloß gesagt …”
    “Die Leute gehen in eine Kneipe und besaufen sich”, unterbrach Herr Lehmann sie. Das ist nicht gut, dachte Herr Lehmann, es ist nicht gut, wenn ich sie unterbreche. “Manche mehr, manche weniger. Und das macht ihnen Spaß. Wie würde das Leben der Leute in dieser Stadt aussehen, wenn es keine Kneipen oder Cafes, oder wie auch immer die Dinger sich nennen, gäbe. Was ist gegen eine Arbeit zu sagen, die darin besteht, den Leuten etwas zu bieten, was sie gern haben? Lebensinhalt! Vielleicht sind die Leute hinterm Tresen die einzigen, die so was wie Lebensinhalt geben. Vielleicht füllen wir ja den Lebensinhalt in die Leute rein, Mund auf, Lebensinhalt rein, fertig.”
    “Moment mal, das ist jetzt ganz schön primitiv. Entweder gibt es jetzt einen

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