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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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vielleicht aber auch nicht. Er beschieß, den Notausgang zu nehmen. Und warum lebt die Eintagsfliege dann nur einen Tag?” fragte er.
    “Haha. Willst du jetzt etwa sagen, daß Betrunkene länger leben?”
    “Das wäre eine Möglichkeit.”
    “Ich glaube, du bist völlig bescheuert.”
    “Kann schon sein.”
    “Macht ja nichts.”
    “Nein, irgendwie nicht.”
    “Dann ist ja gut.”
    “Ja.”
    “Hört mal, ihr beiden Turteltäubchen”, sagte Karl, der, von beiden unbemerkt, an ihren Tisch gekommen war, “wie ich sehe, habt ihr euch prima miteinander angefreundet, aber ich glaube, du mußt mal wieder in die Küche zurück. Ich meine, ich sage das ungern, aber …”
    “Okay, okay.”
    “Was meinst du, Karl? Vergeht die Zeit schneller oder langsamer, wenn man betrunken ist?”
    “Über so was redet ihr miteinander? Na, da haben sich ja zwei gefunden.”
    “Nicht ausweichen. Das ist wichtig.”
    Karl dachte kurz nach. “Ich glaube, sie läuft schneller. Aber am nächsten Morgen gleicht sich das wieder aus.”
    “Na bitte”, sagte die schöne Köchin zufrieden lächelnd.
    “Aber über so was reden nur Suffköppe”, sagte Karl. “Und nur abends am Tresen.”
    “Stimmt nicht. Langsamer läuft die Zeit, wenn man trinkt, und am nächsten Morgen wieder schneller.”
    “Frank, echt mal, Katrin muß wieder in die Küche.”
    “Ich sag nichts mehr. Ist ja auch egal. Jedenfalls …”
    “Laß mal. Ich muß jetzt in die Küche. Vielleicht später. Ich gehe nachher schwimmen. Ins Prinzenbad. Du kannst ja auch hinkommen.”
    “Herr Lehmann und schwimmen, das möchte ich gerne mal sehen”, sagte Karl.
    “Ich kann schwimmen.”
    “Genau. Er hat’s gelernt. Am Grundbergsee.”
    “Ich glaube, hier läuft irgendwas, was ich nicht verstehe.”
    “Der Grundbergsee hat übrigens mit Achim nichts zu tun”, sagte Katrin und stand auf. “Der Grundbergsee ist an der Autobahn nach Hamburg, bei Oyten oder so, und Achim ist an der Autobahn nach Hannover.”
    “Wann gehst du denn schwimmen?”
    “Wenn ich hier fertig bin. Aber vorher gehe ich erst noch mal nach Hause. So gegen sechs bin ich dann da.”
    “Ich war schon lange nicht mehr im Prinzenbad. Ist das überhaupt noch offen?”
    “Das ist bis Mitte September geöffnet”, sagte Karl. Und zu Katrin: “Das möchte ich noch einmal im Leben sehen, daß Herr Lehmann ins Prinzenbad geht!”
    “Kannst du dir ja überlegen”, sagte sie und ging in die Küche.
    Herr Lehmann verrenkte sich den Hals, um ihr hinterherzugucken.
    “Hm”, sagte sein bester Freund Karl. “Oyten, Achim, Grundbergsee, Autobahn, das klingt ja mächtig romantisch. Macht ihr beide einen Heimatkundezirkel?”
    Herr Lehmann sagte nichts. Er versuchte nachzudenken.
    “Heh, Frank, was geht da ab?” ließ sein bester Freund Karl nicht locker und knuffte ihn in die Schulter. “Worüber denkst du nach? Wie das noch mal war mit dem Brustschwimmen?”
    “Über nichts”, sagte Herr Lehmann, der sich gerade ein gemeinsames Leben mit Katrin, der schönen Köchin, die jetzt auch einen Namen hatte, vorzustellen versuchte.
    “Willst du noch ein Bier?”
    “Nein”, sagte Herr Lehmann abwesend. Ich glaube, ich leg mich erst mal wieder hin.”
    “Das ist immer gut”, sagte sein bester Freund Karl.

    Kapitel 5

    KAFFEE UND KUCHEN

    Scheiße, dachte Herr Lehmann, ich muß aufwachen. Und das tat er dann auch. Wenn er nachmittags schlief, hatte er immer wilde Träume, und meistens gefiel ihm das ganz gut, es ist besser als Fernsehen, dachte er oft, zumal er keinen Fernseher mehr hatte, seit sein kleines Schwarzweißgerät nicht mehr funktionierte und er Fernsehen am Nachmittag sowieso immer deprimierend gefunden hatte. Aber das hier war zu hart gewesen. Als er aufwachte, war er am ganzen Körper schweißnaß, was nicht nur von der drückenden Hitze kam, die über der ganzen Stadt lag, in der es, wie er schätzte, etwa gegen fünf Uhr am Nachmittag war. In seinem Traum war es Nacht gewesen, eine Nacht der finsteren Sorte, und er war durch die Manteuffelstraße gelaufen, bis er in einem Hochhaus angekommen war, das gedroht hatte einzustürzen, sofern nicht bald die Hunde kämen, er hatte auf dem Balkon auf sie gewartet, weil er nicht hatte hinuntergehen können, denn auf der Treppe waren die Männer von der Bierlieferung gewesen und hatten alles blockiert. Es ist sicher der Alkohol, dachte er und verrieb beim Aufstehen den Schweiß auf seiner nackten Brust und wollte sich schon in die Duschkabine in

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