Herr Lehmann
der Küche stellen, als ihm einfiel, daß das gar nicht nötig war, weil er ohnehin ins Prinzenbad gehen mußte, um Katrin, die schöne Köchin, wie sein bester Freund Karl sie genannt hatte, zu treffen.
Noch vor dem Hinlegen hatte er die dafür nötigen Dinge zusammengesammelt: eine Badehose, nach der er lange hatte suchen müssen, ein Handtuch, das leidlich sauber oder jedenfalls von dunkler Farbe war, und ein Vorhängeschloß, das er bei seinem letzten (und ersten und einzigen) Besuch im Prinzenbad, der schon Jahre zurücklag, gegen ein Pfand von 20 Mark und eine Leihgebühr von 50 Pfennig am Einlaß erworben hatte. Das alles stopfte er, immer noch ganz benebelt von Schlaf und Traum, in eine Plastiktüte, zog sich ein T-Shirt über und ging hinunter auf die Straße. Auf dem Weg zur U-Bahn hielt er sich im Schatten und kam an allen Schnorrern vorbei, ohne ein einziges Mal angesprochen zu werden, was ihm einiges darüber verriet, welchen Eindruck er in seinem jetzigen Zustand auf seine Umwelt machte. Als er oben auf dem Bahnsteig auf die U-Bahn wartete, wurde ihm sogar leicht übel, und er spielte mit dem Gedanken umzukehren, aber dann kam die U-Bahn und nahm ihm die Entscheidung ab.
Das ist genau so ein Tag, an dem man auf keinen Fall ins Prinzenbad fahren sollte, dachte Herr Lehmann mißmutig, während die Linie l so langsam und öde, wie er es von ihr gewohnt war, in Richtung Prinzenstraße zuckelte, da sind jetzt riesige Schlangen vor der Kasse und dann steht man in der prallen Sonne, dachte er, und die Schweine von Dauerkartenbesitzern drängeln sich vor, was jetzt aber ungerecht gedacht ist, denn die Dauerkartenbesitzer drängeln sich nicht vor, sie müssen bloß nicht an der Kasse stehen, was nur logisch und gerecht ist, dachte Herr Lehmann, der denselben Gedanken schon damals, bei seinem ersten (und letzten und einzigen) Besuch im Prinzenbad, gedacht hatte, wie ihm jetzt einfiel, ein Besuch, der nicht seine eigene Idee gewesen war, sondern auf eine damalige Freundin zurückging, die der Meinung gewesen war, er brauchte ein bißchen Bewegung, und Schwimmen sei überhaupt sehr gesund. Schwimmen ist das Gesündeste, was es gibt, hatte sie gesagt, sie war so eine Dauerkartenbesitzerin gewesen, genau wie sein bester Freund Karl, und sie hatte schon 1000 Meter abgeschwommen, bevor Herr Lehmann überhaupt durch die Kasse gekommen war. Ihr Name war Birgit gewesen, und sie war ungefähr zwei Wochen lang mit ihm gegangen, oder wie immer man das nennen sollte, dachte Herr Lehmann, jedenfalls hatte er das geglaubt, wohingegen sie nach diesen zwei Wochen behauptet hatte, sie wären überhaupt nie richtig zusammen gewesen, vielmehr sei sie die ganze Zeit eigentlich immer noch mit ihrem vorherigen Freund zusammengewesen, so hatte sie das genannt, zusammen sein, dachte Herr Lehmann, sie hatte immer zusammen sein gesagt, auch eine zweifelhafte Wortwahl, wenn man mal so darüber nachdenkt, dachte Herr Lehmann, mit genau jenem vorherigen Freund, von dem sie noch eine Woche vorher ungefragt geschworen hatte, da sei gar nichts mehr, sie sei jetzt mit Herrn Lehmann zusammen, worauf Herr Lehmann im Grunde gar keinen großen Wert gelegt hatte, denn, erinnerte er sich, als er an diese Birgit denkend am U-Bahnhof Prinzenstraße aus der U-Bahn trat, er hatte, da muß man ehrlich sein, dachte er, nur ihren Körper gewollt.
Sie hat aber auch einen besonders schönen Körper gehabt, dachte er, als er aus dem U-Bahnhof heraus in das gleißende Sonnenlicht trat, die Skalitzer Straße überquerte und sich die letzten 50 Meter zum Prinzenbad schleppte, und vielleicht, dachte er, als er zur Kasse des Prinzenbads ging und “einmal” sagte und “keinesfalls” auf die Frage, ob er Student sei, und dafür eine Karte bekam, die ihm sofort wieder abgenommen wurde von einem Mann in weißen Shorts, Badelatschen und sonst nichts, vielleicht ist Schwimmen ja wirklich gesund, obwohl andererseits, dachte er, wieso soll gerade Schwimmen gesund sein, wenn man die Menschen hier so sieht, dachte er, als er das Schwimmbad betrat, dann machen die nicht gerade einen sehr gesunden Eindruck, dachte Herr Lehmann, und dann fiel ihm erst auf, daß es an der Kasse überhaupt keine Schlange gegeben hatte, aber er wußte in diesem Moment natürlich auch schon, warum das so war: Es konnte überhaupt niemand mehr draußen anstehen, weil alle schon drin waren.
Und wenn er ‘alle’ dachte, dann meinte er in Gedanken auch alle. Es war ein unglaubliches Gewusel und
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