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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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zeigte sie ihm an, daß es erst halb sechs war, so daß er davon ausgehen konnte, daß sie noch nicht hier war. Das ist gut, auf diese Weise kann ich mich ein bißchen einschwimmen, das wird mich abkühlen, das ist gesund, dachte er etwas willenlos und ging durch die Fußbecken hindurch zum Sportbecken. Sportbecken, dachte Herr Lehmann, Sportbecken, während er am Rand desselben stand und es etwas ratlos überschaute. Komisches Wort, Sportbecken, dachte er, er kannte die einzelnen Schwimmbeckenbezeichnungen genau, er hatte sie sich gemerkt, damals, Birgit hatte ihm das alles erklärt, sie hatte überhaupt dauernd vom Sportbecken geredet und davon, daß sie nur im Sportbecken schwimmen würde. Sportlich geht es hier allerdings zu, dachte Herr Lehmann jetzt und betrachtete ver sonnen die Leute in dem milchigen Wasser, während eine Lautsprecheransage darauf hinwies, daß Stefan, drei Jahre alt, seine Mutti suchte und daß das Rauchen im gesamten Beckenbereich nicht erlaubt war. Hinter ihm und überhaupt um das gesamte Sportbecken herum lagen und saßen Unmengen von Menschen auf Handtüchern, in seinem Rücken sogar auf mehreren Ebenen auf einer Art Steintribüne, aber noch mehr waren im Wasser, und alle versuchten, so gut es eben ging, ihrem Treiben einen Sinn zu geben. Einige waren richtige Sportler, ernsthafte Athleten, oder sie sahen zumindest so aus, sie durchpflügten mit Schwimmbrille und Schwimmhaube dermaßen autistisch das Wasser, daß sie, wie Herrn Lehmann sogleich auffiel, niemandem ausweichen mußten, ihnen vielmehr alle anderen Schwimmer freie Bahn gaben, von denen es einige wenigstens noch schafften, einen geschickten Zickzackkurs durchzuhalten, während die große Mehrheit sich irgendwie durchquälte, Brustschwimmer zumeist, die ständig erschreckten, auswichen, anhielten, sich zur Seite warfen, wegtauchten, auf der Stelle hundepaddelten und überhaupt alles taten, um nirgendwo anzuecken. Erschwert wurde die Lage noch durch die Chaoten, Kinder und türkische Jugendliche, die an den Kopfenden des Beckens unermüdlich ins Wasser sprangen, wieder herauskamen und wieder hineinsprangen, dabei kreischten, sich schubsten und überhaupt alles durcheinanderbrachten. Sie waren die eigentlichen Herren der Lage, alle anderen Beckeninsassen mußten irgendwann durch ihren Wirkungsbereich hindurch, und alle, da war Herr Lehmann sich sicher, hatten Angst, von einem arschbombenden Chaoten versenkt zu werden. Herr Lehmann freute sich darüber, daß ihm dieses Wort in den Sinn kam, Arschbombe, er hatte es lange nicht mehr gehört oder gedacht, es erinnerte ihn an seine frühe Jugend, wie ihn überhaupt alles hier an seine frühe Jugend erinnerte, und er beschieß, sein eigenes Schwimmen mit einem solchen Sprung ins Wasser zu beginnen.
    Als er aber zum Kopfende des Beckens ging, um arschbombend zur Tat zu schreiten, überlegte er es sich plötzlich wieder anders. Das ist unwürdig, dachte er, während aus den Lautsprechern die Ansage kam, daß ein kleiner Nackedei seine Mutti suchte und daß Kinder mit Schwimmhilfen nichts im Sportbecken zu suchen hatten, ich werde bald dreißig, dachte er, nicht daß es richtig wäre, deshalb kokett zu sein oder sich Herr Lehmann nennen zu lassen, dachte Herr Lehmann, aber eine Arschbombe kann nicht die Antwort darauf sein, dachte er, und wie schnell fällt man hier auf einen drauf, und dann ist der querschnittgelähmt, und so etwas ist nie wieder gutzumachen, dachte Herr Lehmann. Außerdem hatte ihn eine Probe mit der Fußspitze davon überzeugt, daß das Wasser trotz des heißen Wetters sportlich kalt war, und er gehörte zu denen, die in ihrer Jugend noch die Grundregeln des Schwimmengehens gelernt hatten, die darin bestanden, daß man sich bei heißem Wetter langsam abkühlen sollte, erst Arme und Beine benetzen, bevor man ins Wasser ging, außerdem war da noch von schwerem Essen und Alkohol die Rede gewesen, aber darüber wollte er lieber gar nicht erst nachdenken. So oder so entschied er sich für den vernünftigsten Weg und ging über eine der Leitern ins Wasser, die sonst nur die Rentner benutzten. Das Wasser war, wenn man sich langsam hineingleiten ließ, nicht so kalt, wie er gedacht hatte, und er stockte nur einmal kurz, als es sein Genital erreichte Dann war er drin und schwamm schnell ein paar Meter von den springenden Kindern weg. Ich sollte einige Bahnen schwimmen, das ist sicher gut, dachte Herr Lehmann, am besten Kraulen, das bringt’s, dachte er, es soll besser für den

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