Herr Lehmann
eine Bumm-Bumm-Musik ohne Gesang, im Gegensatz zu der sonst hier üblichen Rockmusik. Herrn Lehmann war das egal, Musik sagte ihm nichts, nach seiner Meinung war sie in Kneipen nur dazu gut, daß die Leute sich in Ruhe anschreien konnten. “Ich versteh davon nichts. Das ist noch von Sylvio und Stefan.”
“Ich sag dir, die Schwulen, die sind immer ganz vorne. Das ist Acid House, Herr Lehmann.”
“Frank.”
“Das ist das neue Ding. Und da geht was mit Drogen, alter Schwede. Ein Kumpel von mir war letztens auf so ‘ner Party in Schöneberg, das geht zwei, drei Tage in einem durch, da liegen die in ihrer Scheiße und ficken.”
“Also echt mal, Erwin, das ist nun wirklich Blödsinn”, sagte Herr Lehmann. “Worauf willst du eigentlich hinaus?”
“Frank!” Erwin hob einen Zeigefinger.
“Moment”, sagte Herr Lehmann, der es eigentlich gar nicht wissen wollte.
Draußen wurde es langsam voller, die Leute fanden schon nicht mehr alle Platz an den Tischen, manche kamen herein, andere standen mit ihrem Bier in der Faust auf der Straße herum oder setzten sich in die Bushaltestelle. Herr Lehmann mußte erst einige Leute bedienen, die geduldig am Tresen warteten. Es waren gut erzogene Kunden, die ins Einfall kamen. Erwin nickte düster und tat gar nichts.
“Die sollen da mal aus der Bushaltestelle gehen”, rief er plötzlich und sprang von dem Barhocker auf, auf dem er gesessen hatte. “Da krieg ich nur wieder Arger mit dem KOB.”
“Vielleicht wollen sie ja Bus fahren”, schlug Herr Lehmann vor, während er Flaschen entkorkte und Geld kassierte.
“Sag das mal der BVG”, rief Erwin, “die haben sich schon beschwert, sagt der KOB. Was meinst du, wie schnell die einem den Laden zumachen.”
“Mein Gott, Erwin, jetzt bleib mal locker”, sagte Herr Lehmann. “Du regst dich viel zu sehr auf. Wahrscheinlich arbeitest du zuviel”, baute er ihm eine goldene Brücke zu einem anderen Thema. Aber ohne Erwin.
“Die machen wieder Razzien, in Schöneberg haben sie das Loch zugemacht, wegen Drogen.”
“Schöneberg”, sagte Herr Lehmann abwiegelnd. In Kreuzberg wird doch höchstens gekifft.”
“Und das ganze Speed”, schrie Erwin gegen die Bumm-bumm-Musik, die Herr Lehmann nach und nach immer lauter machte, an, “was meinst du, was die in Kreuzberg für Speed nehmen, von Koks mal ganz zu schweigen, was meinst du, was die hier bei den Leuten alles finden, wenn da mal ‘ne Razzia ist.”
Der Laden füllte sich immer mehr mit Leuten, die nach Getränken verlangten, und sogar Erwin hatte das jetzt gemerkt und arbeitete mit. Was ihn aber, zu Herrn Lehmanns Bedauern, nicht daran hinderte, weiter seinen Kram zu reden, wenn auch in fragmentarischer Form.
“Und dann die ganzen Junkies … Und dieses neue Zeug, Ecstasy … Und diese ganzen Designerdrogen …”
Herr Lehmann hörte nicht mehr hin. Seiner Meinung nach war Erwins einziges Problem, daß er jeden Montag den Spiegel las und das, was er da las, viel zu ernst nahm. Draußen deutete alles auf ein Gewitter hin. Die Leute sind komisch drauf, irgendwie hektisch, dachte Herr Lehmann. Von der nahegelegenen Feuerwache kamen Sirenengeheul und Blaulichtreflexe herüber, und es kam ein Wind auf, der Staub und Müll durch die Straße wirbelte und an der Markise rüttelte.
“Erwin”, unterbrach er seinen Chef, der immer noch von Drogen faselte und davon, daß man ihm bald alle Kneipen dichtmachen würde. “Erwin, ich hol mal eben die Markise rein.”
“Ja, ja”, rief Erwin, der sich gerade seinen ersten Spezialbrandy, wie er es nannte, eingeschenkt hatte, “gute Idee. Du bist eine Perle, Herr Lehmann!”
Er hob das Glas und prostete Herrn Lehmann zu.
Herr Lehmann holte die lange Kurbel aus der Küche und ging nach draußen. Während er an der Markise kurbelte, fielen die ersten Regentropfen, und die Leute, denen er gerade in diesem Moment das Dach über dem Kopf nahm, protestierten fröhlich. Dann kam es wie aus Eimern herunter und alles stürmte in die Kneipe hinein, außer Herrn Lehmann, der weiter die Markise einkurbelte, und den Leuten, die sich in der Bushaltestelle drängelten und ihn johlend anfeuerten. Als Herr Lehmann endlich fertig war und in die Kneipe zurückkam, war er klatschnaß, und Erwin war sehr besorgt.
“Mensch Kerle, so kannst du nicht weiterarbeiten. Du bist ja ganz durch geweicht. Ich hol dir mal ein T-Shirt von oben.” Praktischerweise wohnte Erwin seit seiner Scheidung von Frau und Kind direkt über dem Einfall,
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