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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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nicht”, sagte Herr Lehmann, elf, halb zwölf, keine Ahnung.”
    “So spät schon?”
    “Ja, ja, sicher”, sagte Herr Lehmann. “Wir haben aber mindestens bis zwei offen, meistens bis drei oder vier.”
    “Ja, aber das wird dann, also das wäre mir dann auch zu spät.”
    “Ja klar, logisch”, sagte Herr Lehmann. Sie standen immer noch im Eingang, manchmal drängelte sich jemand zwischen ihnen durch, und sie versuchten dabei, den Blickkontakt nicht abreißen zu lassen. “Aber es ist ja erst elf, halb zwölf …”
    “Ja, ich muß mich erst mal umziehen. Außerdem habe ich nasse Haare.”
    “Also”, nahm Herr Lehmann all seinen Mut zusammen, während sie sein T-Shirt betrachtete, “also ich fände das nett, wenn du noch mal vorbei kommst.”
    “Echt?” fragte sie kokett und lächelte ihn an.
    “Ja klar”, sagte Herr Lehmann, “dann geb ich dir einen aus. Das T-Shirt ist nicht von mir”, stellte er klar, weil sie immer noch draufguckte, das hab ich von Erwin bekommen. Bin vorhin auch naß geworden.”
    “Ja, das kam plötzlich”, sagte sie, und Herr Lehmann hoffte, daß sie deshalb so sinnlos daherredete, weil sie sich nicht trennen mochte, “ich hab gerade eine Freundin besucht, in Charlottenburg.”
    “Charlottenburg, das ist weit”, sagte Herr Lehmann.
    “Ja, das war jetzt ganz schön weit.”
    “Also”, sagte Herr Lehmann, hier können wir nicht bleiben. Ich muß auch mal wieder ein bißchen arbeiten, glaube ich.”
    “Ach, da ist ja Erwin”, sagte sie und winkte Erwin zu, der jetzt hinter dem Tresen stand und sich daran festhielt. Erwin glotzte zu ihnen beiden herüber und reagierte nicht.
    “Was ist denn mit dem los?” fragte sie.
    “Das ist eine lange Geschichte”, sagte Herr Lehmann. Komm doch noch mit rein.”
    “Nein, ich geh jetzt”, sagte sie, vielleicht bis später. ”
    “Ja”, sagte Herr Lehmann, vielleicht bis später.” Und dann war sie weg.
    Herr Lehmann ging wieder hinein.
    In der nächsten Stunde passierte nichts Besonderes. Der Regen hörte irgendwann auf und die Kneipe leerte sich rapide. Erwin ging mal kurz hoch, sich frischmachen, wie er sagte, und danach war er wieder in Form. Er versuchte, Herrn Lehmann zum Schnapstrinken zu überreden, aber Herr Lehmann blieb eisern beim Tee, oder Schwarztee, wie Erwin immer sagte, eine schwäbische Angewohnheit von ihm, die Herrn Lehmann rasend machte. Die letzte Nacht war ihm eine Warnung gewesen, das Schnapstrinken war nicht gut für ihn. Er war sich schon gar nicht mehr sicher, ob der Hund wirklich existierte, aber wenn, dann war er noch irgendwo da draußen. Oder im Tierheim. Auf jeden Fall war es immer besser, nüchtern zu bleiben. Als es etwa ein Uhr war, gab er die Hoffnung auf, daß sie noch käme, und gönnte sich ein Bier. Es war ziemlich leer geworden, und bald würde wohl Feierabend sein.
    Dann war plötzlich Alarm. Es lief immer noch die Bumm-Bumm-Musik, oder Acid House, wie Erwin es genannt hatte, und leiser war sie nicht geworden, darum kriegte Herr Lehmann hinter dem Tresen erst etwas davon mit, als die Sache schon ziemlich eskaliert war. Es war Erwin, der sich mit einem Gast stritt, der ganz hinten in der Ecke stand. Herr Lehmann ging vorsichtshalber hin, denn bei Erwin wußte man nie. Er war klein und nicht gerade stark, aber wenn er betrunken war, konnte er neuerdings eine Menge Scheiß bauen.
    “Mach den Joint aus, Kerl, oder raus hier.”
    “Was denn, das ist eine ganz normale Zigarette.”
    “Willst du mich verarschen, du Vogel? Keine Tüten hier drin. Mit dem
    “Ding mußt du rausgehen.”
    “Alter, ich hab hier ein Bier von euch gekauft, und ich laß mich doch von dir nicht rausschmeißen.”
    “Meinst du, ich will, daß die mir den Laden dichtmachen, oder was?”
    “Das war lächerlich, aber offensichtlich unterhaltsam. Die letzten fünf, sechs Gäste schauten begeistert zu, wie die beiden Blödmänner sich beharkten. Herr Lehmann beschloß zu vermitteln.
    “Hör mal, Erwin, laß ihn doch eben austrinken und dann geht er.”
    “Was willst du denn, du Penner?” sagte der Fremde. Ihr seid mir ja zwei ganz gefährliche Wichser!”
    Herr Lehmann hatte kein gutes Gefühl bei dem Kerl. Eigentlich kamen nur friedliche Leute ins Einfall, aber ab und zu gab es solche wie den hier. Herr Lehmann hatte ihn noch nie zuvor gesehen, aber er spürte, daß er ein Schizo war. Er war nicht besonders groß und nicht besonders schwer, aber er war irgendwie aufgeladen, was ihn unberechenbar machte, ein

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