Herr Lehmann
auftauchte, stand Erwin etwas abseits vom Tresen und betrieb mit ein paar Bekannten Kümmerling-Trinken mit Nummern und ohne Hände, und Herr Lehmann freundete sich mit der Aussicht an, den Rest des Abends alleine zu arbeiten. Draußen regnete es in den folgenden zwei Stunden, als wollte der liebe Gott Kreuzberg für immer reinwaschen, sonst passierte nicht viel, außer daß die Kneipeninsassen, Erwin allen voran, sich zielstrebig betrunken machten. Einmal johlte alles, als eine Kolonne Feuerwehrwagen mit einem Höllenlärm vorbeiraste, und der Weizenbiertrinker, der immer am Tresen saß und wahrscheinlich Volker hieß, versuchte, Herrn Lehmann in ein Gespräch über den Regen zu verwickeln. “Wenn er Blasen schlägt, so in den Pfützen Blasen schlägt”, sagte er, “dann hört’s bald auf mit dem Regen, dann hört’s bald auf.”
Herr Lehmann ging darauf nicht ein, er nickte nur und schenkte ihm ein Kristallweizen ohne Zitrone für diesen schönen Gedanken. Ansonsten schaute er, wenn es die Arbeit erlaubte, ein bißchen hinaus in den Regen. Es sah so aus, als ob der Sommer vorbei war. Ihm sollte es recht sein. Er mochte den Sommer zwar gerne, es war die schönste Jahreszeit in Berlin und er hatte nie verstanden, warum die Leute ausgerechnet im Sommer in den Urlaub fuhren, aber andererseits hatte der Sommer auch immer so etwas Forderndes, im Sommer wurde Herr Lehmann immer von dem Gefühl bedrängt, er müßte aus dem schönen Wetter etwas machen, etwas mit Freunden unternehmen oder so, Grillen, Ausflüge machen, an Badeseen fahren … - alles Aktivitäten, auf die Herr Lehmann keinen großen Wert legte, die auch bei seinen Freunden nicht in hohem Kurs standen, deren theoretische Möglichkeit ihm aber das Gefühl gab, etwas zu verpassen, die Zeit des schönen Wetters nicht richtig auszunutzen, geradezu zu verplempern. Den Rest des Jahres war es einfacher. Wenn draußen alles naß und grau war, oder besser noch kalt und schmutzigweiß, dann konnte er ohne Problem den Tag mit einem Buch im Bett vertrödeln und darauf warten, daß es wieder dunkel und Zeit zum Arbeiten wurde. Eigentlich ist es Unsinn, so zu denken, dachte er jetzt, während er in den Regen hinaussah. Es ist derselbe Quatsch wie mit dem Lebensinhalt, dachte Herr Lehmann, man denkt, man müßte etwas aus dem Sommer machen, dann hat man schon verloren, man sollte sich einfach nur an ihm erfreuen und kein schlechtes Gewissen dabei bekommen, dachte er. Naja, jetzt ist es erst einmal vorbei, dachte er etwas traurig, während draußen an der Haltestelle ein schwankender, hellscheinender Doppeldeckerbus einfuhr. Es stieg nur eine Person aus, aber Herr Lehmann erkannte sie gleich an ihrer Statur und ihrem Gang. Sie hatte keine Regenkleidung an, sondern nur Jeans und ein T-Shirt, und sie stellte sich erst einmal in der Bushaltestelle unter.
Er ging an die offene Kneipentür und rief: “Katrin!”
Sie reagierte nicht, obwohl er übertrieben winkte. Vielleicht war sie es doch nicht. Hallo! “Hallo!” rief Herr Lehmann noch einmal so laut er konnte.
Dann kam sie angelaufen. Sie war es wirklich. Sie stellte sich zu ihm in den Eingang der Kneipe.
“Scheiße”, sagte sie, jetzt hab ich nasse Füße.”
“Willst du was trinken? Ich arbeite hier”, sagte Herr Lehmann. “Ich muß auch wieder rein”, fügte er hinzu, denn so nah bei ihr zu stehen, daß er ihre nassen Haare riechen konnte, machte ihn nervös.
“Ich wollte eigentlich nach Hause”, sagte sie. “Außerdem habe ich nasse Haare. Und nasse Füße.”
“Ja”, sagte Herr Lehmann. “Dagegen sollte man etwas tun. Unbedingt.”
Sie lächelte und berührte kurz seinen Arm. “Du bist ein komischer Kauz”, sagte sie rätselhaft. “Und hier arbeitest du?” Sie standen immer noch im Eingang, und während sie das sagte, schaute sie in das Einfall hinein.
“Ja, das ist das Einfall.”
“Das wußte ich nicht. Bin ich schon oft dran vorbeigekommen, ich wohne hier um die Ecke. Steht gar nicht dran.”
“Ach so”, sagte Herr Lehmann, der das noch gar nicht bemerkt hatte, obwohl er seit Jahren hier arbeitete. Das sollte man Erwin mal sagen.”
“Ja”, sagte sie zögernd, ich glaube, ich geh dann erst mal nach Hause. Ich wohne hier nämlich um die Ecke”, wiederholte sie.
“Ah ja, ach so”, sagte Herr Lehmann.
“Ich zieh mich lieber erst mal um.”
“Ja, genau”, sagte Herr Lehmann.
“Vielleicht komm ich dann noch mal rein. Wie spät ist es denn jetzt überhaupt?”
“Weiß
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