Herr Lehmann
weshalb dies auch der einzige Laden war, in dem er noch selber arbeitete. Der Spezialbrandy hatte ihm gutgetan, er sah jetzt viel entspannter aus. “Nimm erst mal einen von dem hier.” Er schwenkte die Spezialbrandyflasche, auf der sein Name vermerkt war.
Herr Lehmann lehnte den Schnaps dankend ab, wollte aber das T-Shirt haben, denn sich wegen Erwins Markise zu erkälten, ging in seinen Augen zu weit. Die Kneipe war jetzt knüppelvoll, die Leute drängelten sich aneinander vorbei und umeinander herum, und es roch nach Schweiß und nassen Kleidern. Die Stimmung war gut, das allen gemeinsame Erlebnis, vor dem Regen geflüchtet zu sein, bekam ihr blendend, und es wurde gesoffen, was das Zeug hielt. Herr Lehmann hatte nichts dagegen. Er stand gerne hinter dem Tresen, wenn der Laden voll war. Er mochte die Hektik und das schnelle Arbeiten, es ist besser als herumzuhängen, dachte er einmal mehr, während die Leute sich auf der anderen Seite des Tresens drängelten, manche rufend, andere bloß flehentlich guckend, manche sich vordrängelnd, andere aus der zweiten Reihe mit Geldscheinen wedelnd, sie wollten alle seine Aufmerksamkeit erregen, und er war gut darin zu erkennen, wer als nächster dran war und wer sich nur vordrängelte. Er war überhaupt gut, bei ihm saß jeder Handgriff, und mit einer Geschwindigkeit, die in der ganzen Kneipenszene ihresgleichen suchte, machte er Bierflaschen auf, mischte Weinschorlen zusammen, goß Schnäpse je nach Bekanntheitsgrad und Sympathie mehr oder weniger großzügig in die Gläser, rechnete zusammen, kassierte, begrüßte Freunde und Bekannte, gab dem einen oder anderen was aus und fühlte sich wohl.
Nach einer Weile kam Erwin wieder, und der fühlte sich jetzt auch wohl. Sein Gesicht glänzte rosig, er grinste und drückte Herrn Lehmann ein zusammengeknülltes T-Shirt in die Hand.
§Zieh dich erst mal um, geh in die Küche, ich mach das hier schon”, sagte er großartig.
Herr Lehmann war nicht ganz so überzeugt davon, aber im Grunde konnte es ihm egal sein. Es war ja Erwins Laden. In der Küche lag neben dem großen Eimer für das Altglas ein Zwanzigmarkschein. Das war Erwins allgemein bekannte und immer wieder belachte Methode, die Ehrlichkeit seiner Mitarbeiter zu erproben. Herr Lehmann steckte den Schein ein und zog sich das nasse T-Shirt aus. Das neue, von Erwin gestiftete, trug die Aufschrift: VfB Stuttgart: “Deutscher Meister 1983/84”. Erwin kann einen immer wieder überraschen, dachte Herr Lehmann.
Als er hinter den Tresen zurückkehrte, goß Erwin sich gerade wieder einen ein, während auf der anderen Seite große Not herrschte. “Steht dir super”, rief er und hielt einen Daumen hoch, eine Geste, die Herr Lehmann peinlich war.
“Hör mal, Erwin”, sagte er, kann es sein, daß die zwanzig Mark, die ich gerade in der Küche gefunden habe, mir gehören? Mir ist so, als hätte ich da letztens zwanzig Mark verloren.”
“Zwanzig Mark?” fragte Erwin scheinheilig und holte sein Portemonnaie raus. Er kramte darin herum und sagte: “Warte mal, nein, die hab ich da vorhin wahrscheinlich liegenlassen. Sind nicht mehr da.”
“Neben dem Eimer?”
“Ja, nee, die müssen runtergefallen sein.”
“Was hast du denn mit einem Zwanzigmarkschein in der Küche gemacht, Erwin? Gekokst?”
“Nix da, du Vogel. Das ist mein Geld, ehrlich.”
“Meinst du wirklich, Erwin? Am Ende gehören die Sylvio und Stefan. Die haben doch vorhin hier gearbeitet.”
“Nein, nein”, Erwin wurde jetzt richtig aufgeregt, “da bin ich ganz sicher, die gehören mir.”
“Vielleicht sollten wir die solange hier deponieren, bis ich die beiden gefragt habe.”
“Ich kümmere mich drum”, sagte Erwin und schnappte nach dem Schein, ich mach das schon.”
Herr Lehmann verlor das Interesse an dieser Blödelei und widmete sich den Gästen. Draußen entlud sich ein heftiges Gewitter mit Blitz und Donner und allem was dazugehört. Die Leute waren ganz aufgekratzt und schauten fasziniert aus den Fenstern, und die Bumm-Bumm-Musik, die Herr Lehmann auf Autoreverse gestellt hatte, hämmerte dazu gleichförmig aus den Boxen. Niemand kam und niemand ging, und das Gefühl, daß man jetzt gar nichts anderes machen konnte, als zu bleiben, wo man ist, und zu saufen, was das Zeug hält, hatte eine enthemmende Wirkung auf alle. Es ist ein bißchen wie hitzefrei, nur umgekehrt, dachte Herr Lehmann, während er in den Keller ging, um mehr Kisten mit Bier nach oben zu bringen.
Als er wieder
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