Herr Lehmann
kennen schien. Alle schnappten nach Luft und schwitzten, und Katrin weinte nicht mehr, und Kristall-Rainer hatte aufgehört, sie zu trösten, oder was er dafür hielt, und das, dachte Herr Lehmann, ist ja auch schon mal was.
“Trinkt das!” sagte Karl und stellte Schnapsgläser auf den Tisch. “Auf ex, alle Mann, jetzt.”
Sie kippten die Schnäpse weg.
“Mein Gott”, sagte Karl, ich werde langsam zu alt für diese Gruppendynamik.”
“Es tut mir leid”, sagte Herr Lehmann zu Sylvio, “tut mir echt leid, Sylvio. Ich wollte das nicht.”
“Schon okay”, sagte Sylvio, der etwas blaß aussah. “Der Typ hat’s verdient. Das ist ein totales Arschloch.”
Herr Lehmann sah Sylvio an, sah, wie mitgenommen er war, und in diesem Moment liebte er ihn sehr. Er hatte nie viel mit ihm zu tun gehabt, manchmal hatten sie zusammen gearbeitet, meistens aber machte Sylvio seine Schichten im Einfall mit Stefan, sonst hatten sie nicht groß etwas miteinander zu tun, aber trotzdem, dachte Herr Lehmann, ist er ein echter Kumpel, er ist loyal, und tapfer ist er auch. “Es tut mir wirklich leid”, wiederholte er, weil er sonst nicht wußte, was er sagen sollte. “Wir hätten einfach woanders hingehen sollen.”
“Alles meine Schuld”, dröhnte Karl dazwischen, “ich bin total scheiße.”
“Niemand widersprach. “Okay, okay”, sagte Karl und hob die Hände. “Will mir jemand in den Arsch treten?” Er sprang auf, drehte sich um, bückte sich und hielt seinen mächtigen Hintern in ihre Richtung. “Na los! Jetzt oder nie.” ”
Alle entspannten sich etwas. Auch Katrin. Herr Lehmann sah sie an, und sie schaute mit einem seltsamen Ausdruck zurück. “Du bist verrückt”, sagte sie leise. Er spürte plötzlich ihre Hand auf seinem Oberschenkel, aber nur ganz kurz.
“Um Herrn Lehmanns Zukunft muß man sich keine Sorgen machen”, sagte Karl. Dann rief er zum Tresen: “Flasche Sekt! Jetzt!”
Die Frau, die dort arbeitete, ließ den Korken knallen und kam mit einem vorbereiteten Tablett mit fünf Gläsern an ihren Tisch. “Ich mache das schon”, sagte Karl zu ihr. Sie stellte das Tablett auf den Tisch und strich Karl liebevoll über den Kopf, bevor sie wieder ging.
“Eins ist jedenfalls klar”, wiederholte er, während er den Sekt eingoß,“um Herrn Lehmann muß man sich keine Sorgen machen.”
“Wieso?” fragte Kristall-Rainer, der hier gar nichts zu fragen hatte, wie Herr Lehmann fand.
Auch Karl war leicht irritiert. Er schaute Kristall-Rainer an wie eine kaltgewordene Currywurst, während er ihm antwortete. “Herr Lehmann hat das Patent auf eine neue Kampfsportart, du Dödel. Erst erfindet er die Kreuzberger Schraube und dann auch noch das Gegenmittel dazu. Phantastisch.” Er teilte die Gläser aus. “Wollen nur hoffen, daß der Arsch kein Aids hatte oder so was.”
Alle schienen zu erstarren. Auch Herr Lehmann bekam einen Schreck.
“Hat er nicht”, sagte Sylvio. Hat sich gerade wieder testen lassen.”
“Wieso nicht?” fragte Karl, was Herr Lehmann irgendwie heftig fand.
Sylvio schien das nichts auszumachen. “Er hat damals Hepatitis B gehabt. Ich meine, als man noch nicht so genau wußte und so, er meint, deshalb hätte er damals aufgepaßt. Hätte ihm das Leben gerettet, hat er gesagt.”
Karl hob sein Glas. “Na dann”, sagte er, auf Hepatitis B. Ist also auch sie für etwas gut!”
Darauf konnten sie sich alle einigen. Herr Lehmann fühlte sich dennoch niedergeschlagen. Was immer ein romantischer Abend war, er sollte nach Herrn Lehmanns Meinung nicht damit enden, daß er sich im Finger eines schwulen Kneipiers verbiß. Schlimmer kann man es nicht anfangen, dachte er und schaute zu Katrin herüber, die seinen Blick aufnahm und ihn anlächelte. Er spürte wieder ihre Hand auf seinem Oberschenkel. Sie ist seltsam, dachte er. Sehr seltsam.
“Jetzt sei mal wieder ein bißchen lustig, Frank”, dröhnte es von Karl herüber. “Der Abend hat doch gerade erst angefangen. Wir sollten nachher alle noch ins Orbit gehen, jetzt ist es noch zu früh. Da gibt’s dann noch ordentlich Bumm-Bumm-Musik, wie Herr Lehmann immer sagt, und Mineralwasser für fünf Mark.” Er lachte. “Kultur, da geht nichts drüber.” Und zu Sylvio sagte er: “Ich werde mal mit Erwin reden, der gibt dir ein paar Schichten mehr, dann hat sich das. Dem laufen doch sowieso dauernd die Leute weg.” Er tätschelte Sylvio den Kopf. Er hatte alles im Griff.
“Also ich habe Hunger”, sagte Katrin und sah Herrn
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