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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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jetzt tust? Ich glaube, du bist so ein Typ, der alles werden könnte.”
    “Was heißt werden? Werden heißt doch, daß man noch nichts ist. Das sehe ich aber nicht so.”
    “Hast du das vorhin wirklich gemeint?”
    “Was denn?”
    “Daß du mich liebst?”
    “Ja, natürlich. Ich sag das nicht dauernd überall so daher.”
    “Das will ich auch nicht hoffen”, sagte sie lächelnd und boxte ihn wieder.
    Sie rangelten ein bißchen, dann küßten sie sich, und sie legte sich auf ihn drauf. Das Atmen wurde ihm etwas schwer, aber das machte nichts.
    “Ich weiß nicht, ob ich dich liebe”, sagte sie. “Ich meine”, korrigierte sie sich sofort, “ich glaube, ich liebe dich, aber ich bin nicht in dich verliebt, wenn du weißt, was ich meine.”
    “Weiß ich nicht.”
    “Naja, lieben tu ich dich auf jeden Fall. Aber ich bin nicht direkt verliebt, das ist noch mal was anderes.”
    “Das ist gar nichts anderes. Wenn man jemanden liebt, dann ist man auch verliebt.”
    “Eben nicht.” Sie richtete sich auf und sah ernst auf ihn hinunter. Ihr Haar kitzelte ihn in den Augen. “Wenn man jemanden liebt, dann ist das allgemein und überhaupt. Aber wenn man in jemanden verliebt ist, dann ist das ganz drängend, dann ist das in diesem Moment und so.”
    “Soso”, sagte Herr Lehmann. “Du meinst, das eine ist akut und das andere chronisch, oder wie?”
    Sie dachte kurz nach. “Ja, irgendwie so.”
    “Das eine wie Lungenentzündung, das andere wie chronische Bronchitis, oder wie?”
    “Du sagst das so unromantisch.” Sie beugte sich über ihn und machte ihm einen Knutschfleck. “So”, sagte sie, “jetzt bist du gebrandmarkt.”
    “Machst du das immer so?”
    “Ja.”
    “Das ist auf jeden Fall romantisch”, sagte Herr Lehmann. Sie knutschten noch ein bißchen herum, und dann stieg sie von ihm herunter und zog ihren Bademantel an.
    “Hast du Hunger?” fragte sie. “Ich hab Riesenhunger. Ich mach uns was.”
    Sie verschwand in der Küche. Herr Lehmann setzte sich auf und sah sich um. Der Fernseher, den sie gleich angemacht hatte, als sie hereingekommen waren, lief immer noch. Irgendwann hatten sie wenigstens noch Zeit gefunden, den Ton abzustellen, und das war gut so, denn Herr Lehmann fand es schwer, sich auf Sex zu konzentrieren, wenn er dabei die Dialoge aus einer Arztserie hörte.
    Ihr Zimmer faszinierte ihn. Es war ähnlich geschnitten wie das größere von seinen eineinhalb Zimmern, die ganze Wohnung war, soweit er es hatte sehen können, fast baugleich, aber ansonsten war es ein Unterschied wie Tag und Nacht. Bei ihr war alles perfekt. Die Einrichtung war liebevoll zusammengesucht, es hingen sogar Lampen von der Decke, es gab Vasen mit Blumen darin, sie hatte ein richtiges Bett, und alles war sauber und ordentlich, die wenigen, aber gepflegten Möbel paßten zueinander, und die Bücher standen ordentlich in einem Regal, das den Namen verdiente. Sie hat ihr Leben im Griff, dachte Herr Lehmann, und das faszinierte ihn, wenngleich es ihn auch etwas mutlos machte. Immer, wenn er sich ein gemeinsames Leben mit ihr vorzustellen versuchte, sah er bei ihr ein Leben, das einen Sinn und ein Ziel hatte oder wenigstens haben wollte, ein geordnetes Leben mit vielen wichtigen Dingen darin, aber bei sich selbst sah er ein Leben, in dem nichts von diesen Dingen eine Rolle spielte, und wo da Sinn und Ziel lagen, hätte er schon gar nicht sagen können. Und, was die Sache noch schwieriger machte: Es interessierte ihn auch überhaupt nicht.
    Er zog sich etwas über und ging an das Bücherregal, um ihren Lesestoff zu überprüfen. Da war genau das, was da sein mußte: Bücher über Design und Designer, Kunstbücher, Ausstellungskataloge, einige Romane und Geschichtensammlungen jener deutschen und amerikanischen Autoren, die alle lasen, wenn sie irgend etwas lasen, und das alles paßte irgendwie zu gut zusammen, das beunruhigte Herrn Lehmann. Von der Küche drang der Geruch gebratener Kartoffeln zu ihm herüber. Wahrscheinlich hebt sie übriggebliebene gekochte Kartoffeln immer auf, um später Bratkartoffeln daraus zu machen, dachte Herr Lehmann, und das gefiel ihm, weil er das auch immer machte, wenn er einmal kochte und dabei Kartoffeln im Spiel waren, nur daß das fast nie der Fall war, weder kochte er oft, noch waren dabei Kartoffeln im Spiel, und wenn, dann verschimmelten die aufgehobenen Kartoffeln in den folgenden Tagen im Kühlschrank, und er warf sie irgendwann weg und nahm sich vor, sie in Zukunft nicht mehr

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