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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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aufzuheben. Als er einige der großen Kunstbücher aus dem Regal nahm, stieß er dahinter auf ein paar zerlesene, bunte Taschenbücher mit goldgeprägter Schrift. Es waren Liebesromane. “Bruce Atkinson ist ein erfolgreicher Mann, groß, gutgebaut und in seinen besten Jahren”, las Herr Lehmann auf der Rückseite von einem davon. “Er hat alles, was ein Mann sich erträumt: einen Traumjob, eine prächtige Villa in Santa Monica und eine Segelyacht am Strand von Palm Beach. Niemand ahnt, daß er seit dem Tod seiner Frau vor zwei Jahren von düsteren Selbstmordgedanken heimgesucht wird. Da tritt Sandra in sein Leben, eine junge, lebenslustige Frau, die selber ein dunkles Geheimnis hat …” Herr Lehmann hörte sie kommen und tat die Bücher schnell wieder zurück. Er war sehr erleichtert.
    “Willst du im Bett oder in der Küche essen?” fragte sie. Sie hielt in jederHand einen Teller.
    “Im Bett”, sagte Herr Lehmann. “Um diese Zeit würde ich sagen: im Bett.”
    Sie lachte. “Ja, es ist spät. Wann mußt du eigentlich raus?”
    “Eigentlich gar nicht”, sagte Herr Lehmann. Ich arbeite ja immer erst abends.”
    “Ich muß morgen wieder in die Markthalle. Kannst aber trotzdem hier bleiben.”
    “Ja”, sagte Herr Lehmann etwas verwundert. Sie gab ihm seinen Teller und sie aßen im Bett. Es war eine Art Bauernfrühstück, und es war sehr gut. Als er nach Ketchup fragte, war sie nicht beleidigt, sondern schickte ihn in die Küche. “Bring das türkische”, sagte sie, das ist das beste, das ist ordentlich scharf.”
    Nachdem sie gegessen hatten, stellte Katrin ihren Wecker, und dann lag sie noch eine Weile in seinem Arm und hatte ein Bein über seinen Körper gelegt. Das Zimmer wurde nur noch vom flackernden Schein des Fernsehers erhellt. Herr Lehmann war schon am Wegdösen, als er plötzlich merkte, daß sie weinte.
    “He, was ist denn los?” fragte er zärtlich.
    “Du bist ein toller Kerl, Frank”, stieß sie zwischen zwei Schluchzern hervor. “Wirklich. Vor allem auch ein Spitzenlover, wirklich. Aber …” Sie zog die Nase hoch und setzte sich auf.
    “Aber was?”
    “Irgendwie … Ich weiß nicht, das kann doch nicht gutgehen. Ich glaube, du erwartest ein bißchen zu viel, vielleicht.”
    “Ich habe noch nicht einmal erwartet, was zu’ essen zu kriegen. So gesehen . .”
    “Vielleicht sollten wir es miteinander versuchen”, sagte sie. “Aber ob das gutgeht?”
    “Wird schon”, sagte Herr Lehmann. “Warum soll es nicht gutgehen?”
    “Weil du so anders bist. Und weil du die Kartoffeln nicht aufsammelst.”
    “Du meinst: aufhebst.”
    “Nein, aufsammelst. Außerdem wird alles immer wärmer und das Kind paßt in der Schule nicht auf.”
    “Das macht doch nichts”, sagte Herr Lehmann. “Dann kriegt es Nachsitzen. Kriegen doch alle.”
    “Du nicht”, schrie sie und haute auf ihn ein. “Du nicht. Und ich auch nicht.”
    “Ach du Scheiße”, sagte Herr Lehmann und wachte auf. Im Fernseher lief eine Nachrichtensendung mit irgendwelchen Demonstrationen, und neben ihm lag Katrin auf dem Rücken und schnarchte leise.
    Dann ist ja gut, dachte Herr Lehmann und schlief wieder ein.

    Kapitel 10

    KUDAMM

    Als Herr Lehmann einige Wochen später den Wittenbergplatz, an dem in seinen Augen der Kudamm begann, obwohl er dort noch Tauenzienstraße hieß, erreichte, war er nicht gut drauf. Er war auf dem Weg zu seinen Eltern, die in ihrem Kudamm-Hotel auf ihn warteten. Daß er etwas verkatert war und wenig geschlafen hatte, war an sich nicht so schlimm, das war ein normales Problem, aber schlimm war, daß er Katrin hatte schlafend zurücklassen müssen, das traf ihn sehr, denn er sah sie nicht so oft, wie er es sich gewünscht hätte, und noch seltener durfte er bei ihr übernachten, da hätte er gerne noch den Morgen mit ihr verbracht. “Schade”, hatte sie gesagt, als er ihr erzählt hatte, daß er früh rausmußte, um seine Eltern am Kudamm aufzusuchen, “sonst hätten wir vielleicht vormittags noch ein bißchen was machen können”, aber sie hatte das ohne richtiges Bedauern gesagt, was Herrn Lehmann, der das hingegen sehr bedauerte, wieder einmal stutzig gemacht hatte, und auf der Fahrt zwischen dem U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof und dem U-Bahnhof Wittenbergplatz hätte er gerne in Ruhe darüber nachgedacht, was um Himmels willen er bloß tun konnte, damit Katrin und er ein richtiges Liebespaar wurden und nicht bloß eine Gelegenheitsbeziehung, was sie im Grunde genommen seit einigen Wochen

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