Herr Lehmann
morgen abend fahren wir doch schon wieder.”
“Hab ich ganz vergessen.”
“Jetzt hat er den Tisch bestellt, jetzt müssen wir da auch hin”, sagte sein Vater entschieden. “Wie geht’s dir denn so, Frank?”
“Ganz gut”, sagte Herr Lehmann.
“Wir können natürlich auch essen gehen, ist auch besser, dann lassen wir das mit dem Variete eben sein”, sagte seine Mutter.
“Was macht die Firma?”
“Ich meinte doch bloß, wenn das doch da mit drin ist …”
Sein Vater machte wieder dieselbe resignierte Handbewegung, die Herr Lehmann schon zuvor an ihm bemerkt hatte und die neu war. “Da ist jetzt alles anders, das würdest du gar nicht mehr wiedererkennen. Viele sind weg.”
Herr Lehmann, der in derselben Firma, in der sein Vater seit 40 Jahren arbeitete, Speditionskaufmann gelernt hatte, nickte wissend. “Ist jetzt alles ziemlich anders, oder?”
Sein Vater, der als einziger von ihnen auf einem Zweisitzer saß, breitete die Arme über die Rückenlehne aus und nickte ebenfalls. “Mir haben sie gerade angeboten, zwei Jahre früher in Rente zu gehen.”
“Und? Machst du?”
“Nix.” Sein Vater schaute kurz zu seiner Frau hinüber. “Bin doch nicht bescheuert.”
“Dann hab ich ihn ja den ganzen Tag an der Backe”, sagte Herrn Lehmanns Mutter. “Da muß man sich ja auch erst mal dran gewöhnen.”
“Ich mach bald nur noch 25 Stunden. Mal sehen …”
“Naja”, sagte Herr Lehmann, für den das alles irgendwie Nachrichten von einem anderen Stern waren, “das ist ja schon mal besser als 40 Stunden.”
In diesem Moment kam ein Kellner in voller Montur durch die Tür des Hotels. Er trug ein großes, silbernes Tablett, sah fragend zur Rezeption, wo man mit dem Finger auf Herrn Lehmann wies, und kam dann zu ihnen.
“Dreimal Kaffee”, sagte der Mann und betonte beim Wort Kaffee die letzte Silbe, das war bei Ihnen?”
“Ja, ja”, sagte Herr Lehmann und freute sich. Das hat Klasse, dachte er und schnappte sich schnell die Rechnung, als der Kellner das Tablett auf den niedrigen Tisch manövrierte. Er wollte nicht, daß seine Mutter sah, was hier für Preise aufgerufen wurden.
“So, so, so”, sagte der Kellner, als er den Kaffee abstellte, drei Kännchen aus massivem Silber, wie Herr Lehmann sogleich bemerkte, und dazu irgendwelche edlen oder edel anmutenden Porzellantassen, außerdem silberne Löffel, eine Zuckerdose mit Zuckerzange und ein Sahnekännchen. Der Kudamm ist vielleicht gar nicht so schlecht, dachte Herr Lehmann, irgendwie haben die was drauf. Jedenfalls, dachte er, bringen sie keine Milchdöschen an den Start, jedenfalls nicht hier, korrigierte er sich gedanklich, denn er hatte den Kudamm auch in dieser Hinsicht schon ganz anders erlebt, immerhin war es am Kudamm gewesen, damals, als er jene cineastisch orientierte Freundin gehabt hatte, wo man ihn allen Ernstes gefragt hatte, ob er den Cappuccino mit Sahne oder mit Milch haben wollte.
“Das ist ja schön”, freute sich seine Mutter.
Der Kellner sah nett aus, sauber und braungebrannt, er lächelte freundlich, und Herr Lehmann gab ihm ordentlich Trinkgeld. Seine Eltern schütteten derweil Sahne in ihren Kaffee und warfen Zuckerwürfel hinein. Herr Lehmann trank seinen Kaffee schwarz.
“Aber Frank”, rief seine Mutter, seit wann rauchst du denn?”
“Nicht oft”, sagte Herr Lehmann, nur wenn ich Kaffee trinke.
“Jedenfalls gehen wir heute abend mit ihm essen. Wär ja wohl noch schöner”, sagte sein Vater. “Diesen Varieté-Quatsch braucht doch kein Mensch.” ”
“Das ist mit Transvestiten und so”, sagte seine Mutter, “das kriegt man sonst nirgendwo.”
“Wieso Transvestiten?” fragte Herr Lehmann. “Ich dachte, das wäre was mit Harald Juhnke.”
“Harald Juhnke?” Seine Mutter guckte irritiert. “Der hat doch nichts mit Transvestiten zu tun.”
Sein Vater lachte.
“Du hattest mir doch damals am Telefon erzählt, da wäre was mit Harald Juhnke.”
“Ach das, nein, das ist mit Transvestiten”, sagte seine Mutter.
“Ich soll dich übrigens schön grüßen”, sagte sein Vater. “Von Frau Brandt.”
“Wer ist Frau Brandt?”
“Ach so, die hieß früher, also früher hieß die Fräulein Dormann, die kennt dich noch von damals, die ist aus der Buchhaltung.”
“Oh”, sagte Herr Lehmann, der sich vor allem deshalb an Fräulein Dormann erinnerte, weil sie ihn seinerzeit entjungfert hatte. Gibt’s die noch?””
“Ja, ja, die ist jetzt verheiratet. Hat aber keine Kinder.”
Herr
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