Herr Lehmann
Lehmann sah mißtrauisch seinen Vater an. Der hatte wieder dieses feine Lächeln drauf. Er ist rätselhaft, dachte Herr Lehmann, wahrscheinlich unterschätze ich ihn dauernd, und dieser Gedanke hatte etwas Tröstliches.
“Das ist aber ein guter Kaffee”, sagte seine Mutter. “Und der Junge hat ihn bezahlt”, wandte sie sich an ihren Mann. “So weit ist es schon.”
“ Vielen Dank, Frank”, sagte sein Vater. “Ist nett von dir.”
“Ja, wirklich”, bekräftigte seine Mutter.
Herrn Lehmann war das unangenehm. Er wollte nicht, daß seine Eltern das Gefühl hatten, sich bei ihm bedanken zu müssen. Das war irgendwie nicht richtig.
“Hast du denn jetzt eine Freundin?”
“Martha, jetzt hör doch mal damit auf”, sagte sein Vater und wandte sich dann an Herrn Lehmann. “Die ganze Zeit liegt sie mir schon damit in den Ohren, von Helmstedt bis hier: Hat der Frank eigentlich eine Freundin? Ob der wohl mal eine Freundin hat, die er uns vorstellt …”
“Als ob da was Schlimmes dran wäre. Er ist doch nicht vom anderen Ufer oder so.”
“Das hat ja auch keiner behauptet.”
“Na, ich etwa?”
“Hab ich doch gar nicht gesagt. Du hast doch damit angefangen.”
“Ich mein ja bloß, man wird ja mal fragen dürfen.”
“Nein, so was gehört sich nicht.”
“Jetzt streitet euch doch nicht”, sagte Herr Lehmann, dem auffiel, daß sich im Foyer immer mehr Leute ansammelten, die alle etwa im Alter seiner Eltern
waren. Daraus folgerte er, daß sie sich langsam auf zwölf Uhr zubewegten und die Stadtrundfahrt bald begann.
“Hört mal”, ergriff er die Initiative, “wie geht das denn jetzt weiter? Ich meine, die Stadtrundfahrt würde ich auslassen, wenn ihr heute abend mit mir essen geht. Es ist immerhin mein Lokal, oder jedenfalls das, wo ich die Geschäfte führe”, mein Gott, dachte er, wie gespreizt das klingt, die müssen mich ja für bescheuert halten, außerdem hatten wir das ja so besprochen.”
“Das stimmt”, sagte seine Mutter.
Sein Vater nickte. “Vorher würde ich mich gerne noch ein bißchen hinlegen”, sagte er. “Diese Stadtrundfahrt wird mir den Rest geben. Das ist genau das, was ich jetzt brauche, eine schöne Busfahrt.”
“Den Tisch hab ich für acht Uhr reserviert.”
“So spät”, sagte seine Mutter, und dann noch warm essen!”
“Jetzt hör aber mal auf”, sagte sein Vater, “zu Hause essen wir doch auch nicht früher.”
“Natürlich, wir sind immer zur Tagesschau fertig.”
“Ja, aber da sind wir ja nicht in Berlin.”
“Das stimmt.”
Herr Lehmann seufzte. “Ich schreib euch mal die Adresse auf.” Er ging zur Rezeption und bat um Stift und Zettel. Die Frau dahinter lächelte ihn auf eine Weise an, die ihm durch Mark und Bein ging. Es ist nicht alles schlecht am Kudamm, dachte er, als er zu seinen Eltern zurückging. Man muß nur von der Straße runter und die Naziwitwen-Cafes vermeiden.
“Das ist die Adresse”, sagte er, als er wieder bei seinen Eltern saß und ihnen den Zettel hinlegte, “das ist in Kreuzberg.”
“Ach Gott”, sagte seine Mutter, “und wenn da jetzt Krawalle sind.”
“Jetzt hör aber auf”, sagte sein Vater, “das ist doch schon Jahre her.”
“So was kann immer mal losgehen”, sagte seine Mutter weise.
“Ja, das stimmt”, sagte Herr Lehmann grausam, “aber sieh es mal so: Kreuzberg ist so groß wie Hemelingen, die Neue Vahr, Sebaldsbrück und Arsten zusammen.”
“Ach so.”
“Jedenfalls müßt ihr das nur dem Taxifahrer sagen, und dann geht das schon”, sagte Herr Lehmann.
Im Foyer wurde es jetzt richtig voll und Herr Lehmann wurde das unangenehme Gefühl nicht los, daß sie von den anderen Busreisenden beobachtet wurden. Sie sind es nicht gewohnt, daß Leute jemanden dort kennen, wo sie mit dem Bus hinfahren, dachte er. Für die sind meine Eltern jetzt Experten. Mit einem mißratenen Sohn. Aber mit Kaffee, dachte er.
“Daß du aber auch so viel rauchst.”
“Nun laß ihn doch rauchen.”
“Ein Taxi kriegt ihr hier überall.”
“Das geht schon”, sagte sein Vater. “Ist ja nicht das erste Mal, daß wir Taxi fahren.”
Sie schwiegen eine Weile. Herr Lehmann merkte, daß seine Eltern unruhig waren. Der Bus ging wohl bald. Sein Vater schaute auf die Uhr.
“Wie spät ist es denn?” fragte Herr Lehmann.
“Zwanzig vor”, sagte sein Vater.
“Tut mir leid, wenn ich nicht mitkomme”, sagte Herr Lehmann, aber das ist wohl nichts für mich.”
“Nee, laß man”, sagte sein Vater, würde ich
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