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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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auch nicht machen.”
    “Da sieht man mal alles”, sagte seine Mutter hilflos. “Das muß doch auch mal sein.”
    “Wir gucken uns das mal alles an”, sagte sein Vater. Du wirst sehen”, sagte er und klopfte seiner Frau aufs Knie, “hinterher wissen wir mehr über Berlin als Frank und sein Bruder.”
    “Wie geht’s dem denn so?” fragte Herr Lehmann.
    “Ach, der Manfred”, sagte seine Mutter. “Da in New York, ob er da glücklich ist … ?”
    “Er will Weihnachten vielleicht rüberkommen.”
    “Kommst du denn auch mal wieder zu Weihnachten? Wenn doch auch dein Bruder kommt?”
    “Sicher”, sagte Herr Lehmann.
    “Ich glaub, das geht los”, sagte sein Vater. Die Leute um sie herum hatten aufgehört, auf sie herabzustarren, und drängelten sich am Hotelausgang. Seine Eltern standen auf, Herr Lehmann auch.
    “Um acht, ja?” sagte Herr Lehmann.“Ich verlaß mich drauf.”
    “Kannst du, kannst du”, sagte sein Vater. Seine Mutter nahm ihn in den Arm. “Ich habe dich ja noch gar nicht richtig begrüßt”, sagte sie und drückte ihn an sich. “Und jetzt gehen wir schon wieder getrennte Wege.”
    “Wir sehen uns ja heute abend”, sagte Herr Lehmann.
    “Alles klar”, sagte sein Vater und klopfte ihm auf die Schulter.
    Herr Lehmann ließ seinen Eltern und ihren Touristikgenossen den Vortritt, bevor er, nach einem langen, erwiderten Blick auf die Frau an der Rezeption, die ihn zum Abschied noch einmal anlächelte, selbst auf die Straße ging. Als er am Bus vorbeikam, klopfte seine Mutter, die auf dem Oberdeck am Fenster saß, noch einmal gegen die Scheibe und winkte.
    Herr Lehmann winkte zurück und war plötzlich traurig, daß er nicht mitgekommen war. Nicht, daß ihm am Checkpoint Charlie und am Brandenburger Tor mit Mauer und was da noch geboten wurde, etwas lag. Aber trotzdem. Irgendwie traurig. Ich werde weich, dachte er und zündete sich eine Zigarette an, bevor er die Straße überquerte, um den Bus zu nehmen.

    Kapitel 12

    GASTMAHL

    Als Herr Lehmann um Punkt acht Uhr die Markthallenkneipe betrat, waren seine Eltern schon da. Sie saßen an einem guten Tisch, nicht zu nah an der Küche, nicht zu nah am Klo und nicht zu nah am Eingang, und sie redeten eifrig mit seinem besten Freund Karl, der sich extra feingemacht zu haben schien: Er trug einen selbst für ihn noch zu weiten, schwarzen Anzug aus zweiter oder dritter Hand, den Herr Lehmann noch nie zuvor gesehen hatte, dazu ein weißes Hemd und eine Fliege. Er sah grotesk aus, wie ein Monsterpinguin nach dem Schleuderwaschgang. Herr Lehmann wäre am liebsten gleich wieder umgekehrt.
    “Da ist er ja”, sagte seine Mutter, als er an den Tisch kam.
    “Hallo Boß”, sagte sein bester Freund Karl und reichte ihm die Hand.
    “Keine Faxen”, sagte Herr Lehmann säuerlich und setzte sich.
    “Wir haben uns schon gewundert, wo du bleibst”, sagte seine Mutter.
    “Es ist Punkt acht Uhr”, sagte Herr Lehmann. “Ihr wart zu früh.”
    “Das Taxi fuhr so schnell.”
    “Wie war die Stadtrundfahrt?”
    “Anstrengend”, sagte sein Vater.
    “Also, das mit der Mauer …”, sagte seine Mutter und schüttelte sorgenvoll den Kopf.
    “Hier ist die Karte, Boß”, unterbrach Karl und reichte ihm die Karte.
    Seine Eltern hatten sie schon. Dann zündete Karl eine Kerze an. Es war die einzige Kerze im ganzen Lokal. Herrn Lehmann fiel auf, daß Karl schmutzige Fingernägel hatte, und er fragte sich, ob ihm das nur jetzt, in seiner Eigenschaft als Pseudo-Geschäftsführer, auffiel, oder ob sein bester Freund etwas abbaute.
    “Du brauchst nicht Boß zu sagen”, sagte Herr Lehmann. “Das sind übrigens meine Eltern, und das ist Karl Schmidt.”
    “Wissen wir doch alles”, sagte seine Mutter. “Wir haben uns doch schon  unterhalten.”
    “Das ist schön”, sagte Herr Lehmann und schaute in die Karte. Was wollt ihr trinken?”
    “Haben wir alles schon bestellt”, sagte seine Mutter. Herr Schmidt hat uns etwas empfohlen.”
    Herr Lehmann schaute fragend zu seinem besten Freund Karl hoch, der direkt hinter ihm stand und dessen Körper einen mächtigen Schatten warf. Karl grinste. “Ich habe den guten empfohlen, Boß.”
    “Den guten was?” Herr Lehmann wurde langsam ärgerlich. Er hatte nichts gegen ein bißchen Spaß, aber das hier war nicht mehr subtil, das war der Vorschlaghammer.
    “Den Roten.” Karl zwinkerte heftig mit dem rechten Auge. “Von dem kaum noch was da ist. Den 85er.”
    “Ach den …”, sagte Herr Lehmann. “Dann bring

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