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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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fügte, in Erinnerung an seine Bundeswehrzeit, hinzu: “Schon weg sein! Schon wieder hier sein.” Er ließ den Mann und seinen Bus stehen und ging gutgelaunt zu Fuß weiter.
    Die Sache war noch nicht verloren, aber die Zeit wurde knapp. Die Uhr gegenüber zeigte an, daß es jetzt zwanzig vor elf war. Herr Lehmann überquerte die Joachimsthaler Straße, schwer bemüht, sich vom Anblick des Cafe Kranzler, das in seinen Augen für alles stand, was den Kudamm so unerträglich machte, nicht die gute Laune verderben zu lassen, und schritt flott und immer ganz außen am Bürgersteig, da, wo die Hundescheiße war und die anderen nicht gerne gingen, an Hotels und Autohändlern, Steakhäusern, Naziwitwen-Cafes, Souvenirständen, Ramschbuden und Hütchenspielern vorbei seinem Ziel entgegen. Der Sieg über den Busfahrer hatte ihn euphorisiert, und er war obendrein optimistisch, es trotz alledem auch zu Fuß pünktlich, vielleicht sogar mit ein paar Minuten Vorsprung, bis zum Hotel seiner Eltern zu schaffen. Der Tag, dachte er glücklich, ist eigentlich gar nicht so schlecht, und er nutzte die Zeit, um noch einmal ein bißchen positiver über Katrin nachzudenken und sich in Erinnerung zu rufen, wie sie nackt aussah.
    Dann sah er den Hund. Es war zwischen Knesebeck- und Bleibtreustraße,
    die Tür eines Juweliergeschäftes öffnete sich und der Hund purzelte jaulend auf den Bürgersteig. Wahrscheinlich hatte ihn jemand getreten, Herr Lehmann hatte das nicht genau gesehen, aber das Hinterteil des Tieres schleuderte komisch herum, als es zwischen die Naziwitwen fiel, die sich dort vor dem Schaufenster amüsierten. Kaum hatte der Hund sich berappelt, sah er auch schon Herrn Lehmann in die Augen. Warum ich, dachte Herr Lehmann und blieb stehen, warum ich? Der Hund, der ganz gewiß derselbe war wie der vom Lausitzer Platz, bewegte seinen fetten, wurstförmigen Körper in Herrn Lehmanns Richtung. Herr Lehmann machte sich bereit, um Hilfe zu rufen, vielleicht sind hier irgendwo die Bullen, dachte er, die machen hier doch dauernd die Runde wegen der Hütchenspieler und so, aber dann war der Hund schon bei ihm, setzte sich hin und schaute ihn an.
    “Nicht schon wieder”, sagte Herr Lehmann leise, “nicht schon wieder.”
    Der Hund knurrte aber nicht. Er schaute Herrn Lehmann nur an, legte den Kopf auf die Seite, was bei jedem anderen Hund einen niedlichen, zutraulichen Eindruck gemacht hätte, und schaute ihn friedlich an.
    “Hast kein Glück hier, was?” sagte Herr Lehmann.
    Der Hund legte den Kopf zur anderen Seite und machte ein fiependes Geräusch.
    “Naja”, sagte Herr Lehmann, “ich muß dann mal weiter. Hab’s eilig.”
    Herr Lehmann ging langsam weg, und der Hund tat gar nichts. Nach einigen Metern drehte sich Herr Lehmann noch einmal um. Der Hund saß nur da und schaute ihm hinterher.
    “Tut mir leid”, rief Herr Lehmann. “Ich hab’s eilig.” Ein Blick auf die nächstgelegene öffentliche Uhr sagte ihm, daß es acht Minuten vor elf war, und er wußte, er konnte es noch schaffen.

    Kapitel 11

    HOTELFOYER

    “Junge, du schwitzt ja. Und das bei dem schlimmen Wetter. Du wirst dich noch erkälten.”
    “Ja”, sagte Herr Lehmann und ließ sich in einen Sessel fallen, ich mußte laufen. Der Bus kam nicht.”
    “Und da hast du dich so abgehetzt? Und du riechst auch ein bißchen.”
    Seine Eltern waren nicht im Frühstücksraum, was irgendwie auch einen Sinn ergab, denn sie waren ja erst diesen Morgen losgefahren. Statt dessen saßen sie im Mantel, sein Vater sogar mit Hut, im Foyer des Hotels in einer Rattan-Sitzgruppe mit bunten Kissen und wirkten so verloren wie zwei Flüchtlinge, die nicht wissen, ob noch ein Zug nach Westen geht. Herr Lehmann hatte sie schon lange nicht mehr gesehen, er mußte erst nachdenken, wann das war, das letzte Weihnachten hatte er ausgelassen, es war wohl der sechzigste Geburtstag seines Vaters gewesen, das war anderthalb Jahre her.
    “Habt ihr eine gute Fahrt gehabt?”
    “Naja”, sagte sein Vater lächelnd. Herrn Lehmann fiel auf, daß er ganz grau geworden war. Aber das stand ihm gut. Außerdem hatte er abgenommen. Aber er sah müde aus. “Wie man’s nimmt. Wir sind seit halb vier auf den Beinen.”
    “Das hat aber auch gedauert”, sagte seine Mutter. “Bis die alle Leute eingesammelt hatten, erst in der Vahr, und dann durch ganz Bremen sind die gefahren, da mußten wir überall mit hin, dabei ist doch bei uns gleich die Autobahn.”
    “Die Autobahn ist überall”, sagte

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