Herr Lehmann
sein Vater, “das ist nun auch egal, ob sie in der Vahr oder in Hemelingen oder in Sebaldsbrück oder meinetwegen in Arsten auf die Autobahn fahren.”
“Sogar in Arsten mußten noch Leute einsteigen”, sagte seine Mutter, “da sind wir sogar noch über die Erdbeerbrücke gefahren. Und dann diese DDR-Polizisten, das ist ja alles total schrecklich, was das gedauert hat. Daß die einen kontrollieren dürfen …”
“Vielleicht sollte ich uns mal einen Kaffee holen”, schlug Herr Lehmann vor. “Wollt ihr Kaffee?” Die beiden nickten.
“Für mich mit Milch”, sagte sein Vater.
Herr Lehmann ging zur Rezeption. Früher, dachte er, hätten sie keinen genommen. Im Leben nicht. Sie werden weich, dachte er und fragte die Frau an der Rezeption: “Kann man hier einen Kaffee bekommen?”
Die Frau verneinte das, meinte aber, sie könnte von nebenan einen kommen lassen. Herr Lehmann, dem die Frau sofort sympathisch war, weil sie mit dieser Antwort und auch sonst irgendwie so gar nicht an den Kudamm paßte, bestellte drei Kaffee und ging wieder zu seinen Eltern.
“Du riechst aber wirklich schlimm”, sagte seine Mutter, als er sich wieder setzte.
“Das tut mir leid”, sagte Herr Lehmann, der heute morgen nicht geduscht hatte und noch die Klamotten vom letzten Abend im Einfall trug, “das muß am Schwitzen liegen. Ich mußte vorher auch noch ein bißchen arbeiten. Und da ging eine Menge schief auf dem Weg. Warum”, wechselte er das Thema, “sitzt ihr eigentlich hier im Foyer, ich meine, so ganz angezogen und so? ”
“Warum seid ihr nicht auf dem Zimmer?”
“Das lohnt doch nicht”, sagte sein Vater und machte eine resignierte Handbewegung. “Und so toll ist das auch nicht.”
“Na, na”, sagte seine Mutter, “dafür ist das nicht teuer. Die ganze Sache, hin und zurück mit dem Bus und die Übernachtung, alles für 100 Mark, das ist doch ein Wahnsinn. Und mit Stadtrundfahrt.”
“Die geht um zwölf Uhr los”, ergänzte sein Vater mit einem feinen Lächeln auf den Lippen. “Die müssen wir natürlich unbedingt mitnehmen.”
“Fang nicht schon wieder an”, sagte seine Mutter. “Das ist doch günstig. Wenn wir schon mal hier sind, dann wollen wir ja auch mal was von der Stadt sehen.”
“Stadtrundfahrt?” fragte Herr Lehmann.
“Sag ich doch”, sagte seine Mutter. “Das ist alles mit drin. Die geht drei Stunden.”
“Da seid ihr ja gleich wieder weg”, sagte Herr Lehmann, der nicht genau wußte, ob er erleichtert oder empört sein sollte.
“Ich dachte, du kommst mit”, sagte seine Mutter. “Das wäre doch eine prima Sache.”
“Naja”, sagte Herr Lehmann, den es bei dem Gedanken schauderte. “Stadtrundfahrt, also wißt ihr, das …”
“Er kennt das doch schon alles”, fiel ihm sein Vater ins Wort. “Er wohnt doch schon so lange hier. Ich würde doch auch keine Stadtrundfahrt in Bremen mitmachen.”
“Wieso nicht, das kann doch interessant sein.”
“Also ich weiß nicht”, sagte Herr Lehmann, der bei dem Gedanken, in einem Doppeldeckerbus durch die Stadt zu schaukeln und den Checkpoint Charlie und dergleichen zu besuchen, die Panik bekam, “das ist doch eher für Touristen und Besucher und so.”
“Nun laß ihn mal”, sagte sein Vater, “das braucht er doch nicht.”
“Aber wir können doch mal was zusammen machen”, sagte Herrn Lehmanns Mutter hartnäckig.
Herr Lehmann sah sie an und wurde, wie auf kurz oder lang immer, wenn er seine Eltern traf, irgendwie traurig. Sie möchte, daß es wieder wie früher ist, dachte er. “Wir gehen doch heute abend zusammen essen”, sagte er, “ich habe extra einen Tisch für uns reserviert. Dann seht ihr auch gleich mal das Lokal, wo ich arbeite.”
“Heute abend?” sagte seine Mutter irritiert. “Da ist doch die Sache im Variete.”
“Im Variete?” Herr Lehmann wurde ganz anders.
“Nun frag doch nicht immer so blöd”, sagte seine Mutter. “Da kannst du aber nicht mitkommen. Das ist nur für Leute vom Bus. Da ist beschränkte Sitzplatzgeschichte und so.”
“Moment mal”, sagte Herr Lehmann, der sich jetzt nicht mehr sicher war, ob er die Gefühlslage seiner Mutter richtig eingeschätzt hatte. “Wir hatten doch noch ein paar Mal telefoniert. Ihr wolltet unbedingt mal sehen, wo ich arbeite. Ihr wolltet da doch mal mit mir zusammen essen. Was ist denn nun los?”
“Er hat recht, Martha”, sagte sein Vater, “ich hab’s dir doch gesagt. Wir hatten das so verabredet.”
“Heute abend?”
“Ja klar,
Weitere Kostenlose Bücher