Herr Lehmann
Kristall-Rainer nicht aus den Augen ließ. Als Herr Lehmann am letzteren vorbeikam, wurde er freundlich gegrüßt und es blieb ihm nichts anderes übrig, als freundlich zurückzugrüßen. Wie ist, dachte er, der eigentlich so plötzlich in mein Leben gekommen?
“Dieser Kristall-Rainer geht mir langsam übel auf die Nerven”, sagte Erwin, als Herr Lehmann bei ihm ankam. “Ja”, sagte Herr Lehmann, “mir auch.”
“Möchte mal wissen, was der will”, sagte Erwin. Herr Lehmann betrachtete Erwin, während Erwin Kristall-Rainer beobachtete. Erwin sah irgendwie alt aus. Und schlechtgelaunt. Aber das tat er immer, wenn er nüchtern war.
“Hier Erwin”, sagte Heidi, die plötzlich bei ihnen auftauchte, “hab ich beim Mülleimer gefunden. Gehört der dir?” Sie wedelte mit einem 50-MarkSchein. Erwin hat die Preise erhöht, dachte Herr Lehmann.
“Oh ja”, sagte Erwin und steckte ihn schnell ein.
“Wie läuft’s denn so als Geschäftsführer?” fragte Heidi Herrn Lehmann.
“Nette Eltern aber.”
“Geschäftsführer?” fragte Erwin verwirrt.
“Ich habe nichts gesagt”, sagte Heidi und ging wieder weg.
“Du wolltest mich doch nicht wegen Kristall-Rainer sprechen”, lenkte Herr Lehmann ab.
“Seit wann rauchst du denn?”
Herr Lehmann betrachtete die Zigarette, die er sich angezündet hatte. “Nur so”, sagte er. Jetzt komm schon zum Punkt, Erwin.”
“Es ist wegen Karl. Ich mache mir da Sorgen”, sagte Erwin und rieb sich die Augen. “Weißt du vielleicht, was mit ihm los ist?”
“Was soll schon mit ihm los sein? Mit Karl ist alles in Ordnung.”
“Ich weiß nicht, irgendwie baut der ab. Das geht so nicht mehr.”
“Was geht nicht mehr?”
“Ach Scheiße”, sagte Erwin, “Karl ist von allen Leuten, die noch bei mir arbeiten, derjenige, der am längsten dabei ist. Karl und du”, fügte er hinzu.
Herrn Lehmann war diese Wendung unangenehm. Er mochte es nicht, wenn Erwin vertraulich wurde.
“Wie lange arbeiten wir jetzt schon zusammen?” fragte Erwin.
“Weiß nicht, neun Jahre vielleicht”, sagte Herr Lehmann.
Zusammen arbeiten ist nicht ganz das richtige Wort, dachte er, aber es war nicht die Zeit für klassenkämpferische Erwägungen.
“Sag einfach, was los ist, Erwin, sentimental können wir immer noch werden.”
“Es ist wegen Karl”, sagte Erwin, “irgendwas stimmt mit ihm nicht. Vorgestern hat er die Lieferung vergessen. War einfach nicht da. Die Abrechnungen stimmen neuerdings hinten und vorne nicht.”
“Karl bescheißt dich nicht, Erwin”, sagte Herr Lehmann. “Das kannst du gleich vergessen.”
“Nein, das meine ich auch nicht. Kerle, Kerle, Kerle.” Erwin rieb sich wieder die Augen, als hinge sein Leben davon ab. “Ich mach mir Sorgen um ”
ihn. Und ich kann den hier nicht die Geschäfte führen lassen. Der baut total ab. Der sumpft nur noch rum. Guck dir nur mal an, wie er aussieht.”
“Ach das mit dem Anzug”, wiegelte Herr Lehmann ab, “das hat er nur gemacht, um mich mit meinen Eltern ein bißchen aufzuziehen. Das spielt ja hier nun wirklich keine Rolle. Oder meinst du, das stört irgend jemanden?”
“Der Anzug ist mir scheißegal”, sagte Erwin, “obwohl das wirklich scheiße aussieht. Aber hast du mal seine Fingernägel gesehen? Und die Hälfte der Leute hat nichts zu trinken, weil er alles vergißt und so, meinst du, ich kriege so was nicht mit?”
“Komm schon, Erwin”, sagte Herr Lehmann, dem nichts Besseres dazu einfiel, “wie lange arbeiten wir schon zusammen?” Jetzt werde ich selber sentimental, dachte er. “Du kennst doch Karl. Der hat halt im Augenblick verdammt viel zu tun, der hat bald die Ausstellung in Charlottenburg, ist doch logisch, daß er ein bißchen durcheinander ist.”
“Ja sicher, habe ich auch schon gedacht. Ist ja auch okay. Aber so geht das nicht. Ich will ihn ja nicht rausschmeißen”, sagte Erwin. “Ich hatte nur überlegt, ob du dich nicht in der nächsten Zeit hier um den Laden kümmern könntest, und Karl arbeitet solange im Einfall.”
“Nee nee”, wehrte Herr Lehmann ab. “Nee, da hab ich keinen Bock drauf. Ich meine, ich find es okay, wenn Karl im Einfall arbeitet, das ist eine gute Sache, aber hier diesen Geschäftsführerquatsch machen, das ist nicht mein Ding. Außerdem gibt’s doch genug andere Leute. Was ist mit Heidi?” Herr Lehmann sah zu ihr hin, und sie kam wieder zu ihnen herüber.
“Was gibt’s denn?” fragte sie.
“Ich hätte gerne ein großes Bier”, sagte
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