Herr Lehmann
der Cuvrystraße, deren Rolläden immer geschlossen waren, weil Karl lieber bei künstlichem Licht arbeitete und ihn die Scheißtageszeiten nicht interessieren, wie er einmal gesagt hatte. Es war heiß hier drin, überall hingen Kabellampen, und der ganze Raum war vollgestellt mit neuen Skulpturen oder Objekten, oder wie immer Karl die Dinger nannte, die er aus diversem Altmetall so zusammenschweißte. Herr Lehmann wußte nicht genau, wo er sich aufhalten sollte, weil Karl fahrig zwischen mehreren Kunstwerken hin- und herschwankte und mit einem entflammten Schneidbrenner an ihnen herumwerkelte, was eine Unterhaltung im Grunde unmöglich machte. Außerdem konnte Herr Lehmann keinen Aschenbecher entdecken, und er war sich nicht sicher, ob es opportun war, auf den Fußboden zu aschen.
“Vielleicht sollte ich ein andermal wiederkommen”, rief Herr Lehmann, obwohl er froh war, seinen besten Freund Karl endlich wiederzusehen. Seit dem Abend mit Herrn Lehmanns Eltern in der Markthalle war Karl nirgendwo mehr aufgetaucht, das war jetzt fünf Tage her, in dieser Zeit hatte er nur noch in seiner Werkstatt gestanden, um das Zeug für die Ausstellung in Charlottenburg endlich fertigzubekommen.
“Ach Scheiße.” Sein bester Freund Karl drehte den Schneidbrenner ab, riß sich die Schweißerbrille vom Kopf und schleuderte sie in die Ecke. “Das bringt doch alles nichts.”
“Hast ja ganz schön was fertiggekriegt”, sagte Herr Lehmann. An und für sich sagten ihm die Sachen, die Karl machte, nichts, und Karl wußte das. Deshalb mußte Herr Lehmann nie sagen, wie er das alles fand, und das war ihm angenehm. Herr Lehmanns Bruder hatte mal ganz ähnliche Sachen gemacht, wenn auch - zumindest damals - mit mehr Erfolg, und schon damit hatte Herr Lehmann nie etwas anfangen können. Kunst ließ ihn überhaupt im großen und ganzen kalt. Aber er hatte Respekt vor den Leuten, die sich ihr widmeten, wie überhaupt vor allen Leuten, die sich in irgend etwas hineinsteigern konnten.
Ach Scheiße.” Sein bester Freund Karl fuhr sich mit der Hand durch die Haare, und Herrn Lehmann fiel erst jetzt auf, wie sehr er schwitzte, seine Haare waren klatschnaß, und von den Schläfen zogen dicke Tropfen in verschiedenen Bahnen hinunter zum Kinn. “Das ist alles Mist”, sagte er.
“ Kannst du alles mitnehmen.” Er trat gegen eins seiner Werke, bis es trotz seiner metallenen Schwere gefährlich wackelte.
“Nix”, sagte Herr Lehmann, der diese Anwandlungen schon kannte. “Das ist amtliches Zeug.”
“Amtlich. Genau das. Amtlich!” sagte Karl mit bitterem Unterton. “Du hast es auf den Punkt gebracht.”
“Wann ist denn jetzt eigentlich die Ausstellung?”
“Am elften November, noch acht Tage, acht verschissene Tage. Gestern war eine Frau von der Galerie da, fand alles super. Genau das, was ich mir vorgestellt habe, hat die blöde Tiffe gesagt.”
“Sei doch froh. Wenn schon, denn schon.”
“Davon verstehst du nichts. Was hast du vorhin erzählt? Was sollst du?”
“Ich muß nach Ostberlin.”
“Wieso das denn?”
“Wegen meiner Oma. Die hat plötzlich ihr Herz für unsere Ostverwandtschaft entdeckt.”
“Ihr habt Verwandte im Osten?”
“Hab ich auch nicht gewußt. Irgendeine Kusine meiner Mutter, die wird jetzt 60, und meine Oma will unbedingt, daß sie 500 Mark kriegt.”
“Kann man das nicht mit der Post schicken?”
“Weiß ich nicht. Irgendwie will meine Oma, daß das persönlich übergeben wird. Sie traut den Kommunisten nicht, sagt sie, und da geht jetzt alles drunter und drüber und so. Und meine Eltern hatten keine Lust dazu, als sie jetzt da waren.”
“Hm, in den Osten”, sagte Karl nachdenklich und holte zwei Flaschen Bier aus einem Kasten, der unter seiner Werkbank stand. Er öffnete sie mit einem Schraubenzieher und reichte eine davon Herrn Lehmann. “Hätte ich auch keinen Bock drauf. Wann denn?”
“Sonntag. Übermorgen.”
“Haben sie dir wenigstens die Kohle für den Zwangsumtausch gegeben?”
“Ach was, meine Eltern haben doch überhaupt keine Ahnung von so was.”
“Da geht im Augenblick ganz schön was ab”, sagte Karl. “Und dann muß man vorher zum Halleschen Ufer, in diesen Scheiß da bei der AGB und sich diese Mehrfachberechtigung oder so holen.”
“Hab ich schon, ich muß die nur noch mal anrufen”, sagte Herr Lehmann.
“Diese Kusine, meine ich. Die wohnt irgendwo im Osten. Wahrscheinlich ist es am besten, wenn ich mich mit ihr am Alex oder so treffe, dann gebe ich
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